Zensur aus Angst in Großbritannien

Aus Angst vor griechischer Empörung zieht der renommierte britische Universitätsverlag von Cambridge eine ethnologische Studie über Slawomakedonier in Griechenland zurück  ■ Von Niels Kadritzke

Berlin (taz) – Die Welt von Oxbridge ist auch nicht mehr, was sie einmal war. Vor zwei Monaten stand in Oxford ein Dozent vor Gericht, der die wertvollsten Folianten aus der Bibliothek seines eigenen Colleges an das renommierte Antiquariat Blackwell verscherbelt hatte. Nun läßt der weltberühmte Verlag „Cambridge University Press“ (CUP) seine Veröffentlichungspolitik vom britischen Geheimdienst bestimmen.

Der britische Universitätsverlag hat eine bereits angekündigte ethnologische Studie aus dem Programm genommen – mit der Begründung, man beuge sich den Einwänden des Außenministeriums und des Auslandsgeheimdienstes. Die außen- und sicherheitspolitischen Bedenken gelten einer Arbeit von Anastasia Karakasidou, einer aus Griechenland stammenden Amerikanerin. Sie hatte nach mehrjähriger Feldforschung in dem nordgriechischen Dorf Assiros eine Doktorarbeit an der Universität Princeton eingereicht. Darin war auch die schlichte Tatsache vermerkt, daß Assiros vor einigen Generationen nicht nur griechische, sondern auch slawophone Einwohner hatte, was bereits der frühere Ortsname „Giuvesna“ erkennen läßt.

Die Studie, die jetzt bei CUP als Buch erscheinen sollte, berührt also die in Griechenland seit 1991 äußerst irrational diskutierte „Makedonien-Frage“. Deshalb warnten die britischen Geheimdienstleute: Die Publikation könnte die öffentliche Meinung in Griechenland verstören und britische Interessen gefährden. Der Geschäftsträger der britischen Botschaft in Athen präzisierte: Die Reaktionen könnten „von öffentlicher Kritik, Protesten und Demonstrationen bis hin zu Gewalt oder Gewaltandrohung gegen die Autorin oder die Verleger“ reichen.

Die Verlagsleitung in Cambridge nutzte die Chance, unter dem Stichwort „terroristische Bedrohung“ den Rückzug anzutreten. In einem internen CUP-Papier heißt es, man wolle nicht „das Leben der Verlagsvertreter in Athen und von Mitarbeitern in ganz Griechenland gefährden“. Kenner der akademischen Geschäfte vermuten hinter der Absage an Karakasidou ganz andere Gründe: Der Verlag fürchtet einen Boykott seiner Bücher und der Eingangsprüfungen für britische Universitäten, die die Universität Cambridge alljährlich auf griechischem Boden organisiert. Aber nicht einmal solche Ängste erscheinen berechtigt. Die Ironie der englisch-griechischen Geschichte liegt darin, daß sich ein Verlag aus Cambridge in eine Makedonien- Hysterie hineintreiben läßt, die in Athen längst wieder versandet ist. Zwar hat man hier vor Jahren tatsächlich wegen Makedonien zum Boykott gegen holländischen Käse und dänisches Bier aufgerufen, aber der Spuk hatte schnell ein Ende, weil selbst die Urheber merkten, daß sie sich nur lächerlich machten.

Auch die Ethnologin Karakasidou wurde im Winter 1993/94 in der griechischen Presse heftig angegriffen – mit kriminellen Konsequenzen bis hin zu Morddrohungen. Von dem Dorf, das sie jahrelang studiert hatte, wurde sie buchstäblich ausgestoßen. Bürgermeister, Pfarrer, Schuldirektoren und Agrargenossenschaft verkündeten, sie habe das ihr entgegengebrachte Vertrauen mißbraucht, und beteuerten das Überflüssige: daß sie nie etwas anderes als griechische Makedonier gewesen seien.

Das hatte Karakasidou allerdings nie bestritten. Alle Attacken gegen die Wissenschaftlerin gingen damals von dummdreisten Demagogen aus, die nicht einen Satz ihrer Arbeit gelesen hatten und die in jedem Hinweis auf die unzweifelhafte Existenz einer slawomakedonischen Minderheit in Griechenland und ihre Geschichte eine Verschwörung gegen die griechische Nation erblickten. Sie bliesen zur Jagd auf Karakasidou – unter anderem mit dem Hinweis, auch das KZ–System sei mit „wissenschaftlicher Forschung“ begründet worden.

Heute würden diese Professoren ihre Artikel von damals am liebsten aus den Archiven tilgen. Und diesen Monat steht eine Einigung zwischen Griechenland und dem makedonischen Nachbarstaat vor der Tür. Die griechische Regierung würde lieber heute als morgen einem Namenskompromiß (zum Beispiel „Neu-“ oder „Vardar-Makedonien“) zustimmen, den die Politiker vor drei Jahren noch als nationalen Ausverkauf denunziert hätten.

So ändern sich die Zeiten, auch wenn es der britische Geheimdienst nicht registriert. Statt dessen wird eine wissenschaftliche Studie unterdrückt, die auch für die aktuelle Debatte in Griechenland ein äußerst wertvoller Beitrag wäre. Beim Verlag in Cambridge stapeln sich jetzt die Proteste der Akademiker. Zwei ethnologische Berater sind bereits zurückgetreten. Einer von ihnen, Harvard-Professor Michael Herzfeld, der auch an der Universität Kreta gelehrt hat, sieht in der CUP-Entscheidung eine Ermunterung „für unverantwortliche Individuen, die Sicherheit von akademisch forschenden Menschen zu bedrohen“.