Hans Joachim Schädlich liest von äußerst engen Geschlechtersichten

So eng geht es manchmal in der deutschen Literatur zu, daß es weh tut. So eng, daß zwischen den ganz reduzierten Eckpunkten der Wahrnehmung nichts mehr übrig bleibt als ein einzelnes Subjekt: das Ich, das in die Zeilen geschrieben wurde, als müßte es jede einzelne nur mit sich selbst füllen. Hans Joachim Schädlich, 1935 im Vogtland geborener Autor und Übersetzer, hat schon weitere Horizonte gefaßt: Sein Schott (1992) war ein Schriftsteller, der sein eigenes Leben immer noch vielfältiger wollte, es in Reisen ausweitete wie ein Endlosgummi, und keine Grenzen dabei zuließ. Sein Tallhover (1986) war ein Spion, der die Vervielfältigung von Leben im Ausloten anderen Daseins suchte.

In seinen neuesten Texten scheint Schädlich nun in die genau entgegengesetzte Richtung zu wollen. Er hat die Enge zweier enger Situationen gewählt wie eine selbstauferlegte Beschränkung und sich dabei auch noch thematisch jegliches Abschweifen verboten. Doch gerade das macht sein Erzählungs-Diptychon Mal hören, was noch kommt/Jetzt, wo alles zu spät is so lebensnah: Es wird immer nur vom Geschlechtlichen gesprochen.

Da ist der Mann aus der ersten Erzählung, ein „Ich“ in völliger Auflösung. „Ich lieg im Bett und red mit Frauen“, sagt er gleich zu Anfang des Textes, und er lügt, denn seine Zwiegespräche hält er eigentlich mit einer Fliege, die noch kurz vor dem Sarg mit ihm spricht. Nicht mit den Frauen spricht er, aber von ihnen.

Ebenso ergeht es der Frau, dem „Ich“ der zweiten Erzählung: „Es gab ne Zeit, da hab ich, also ich fand's spannend“, sagt sie, und erzählt im Monolog. Doch während der Mann des ersten Textes einfach nur alt und krank ist und die Frauen seines Lebens Revue passieren, weil er dem Ende entgegengeht, hat die Frau die Reihung austauschbarer Kerle als Abstieg ins immer größere Verlassensein empfunden.

„Bis jetzt ist keine Frau zu mir gekommen, um: Tschüs! – zu sagen. Ich glaub nicht, daß noch eine kommt. Entweder weiß keine, daß ich tot bin, oder keine will's wissen. Ich hab mir umsonst Gedanken über Frauen gemacht. Die machen sich keine Gedanken über mich“, sinniert der Alte und täuscht sich. Das zeigen nämlich beide: In der gedanklichen Auseinandersetzung zählt nur die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Vor Jahren hat Schädlich mal ein Märchen über einen Jungen geschrieben, der – für die Erledigung der Hausaufgaben – seine Sprache hergibt – und sie sich letztlich doch zurückholt. Die Grausamkeit dieses neuesten Textes des Autors besteht darin, daß seine Protagonisten nichts mehr haben: kein Leben, keine schönen Erinnerungen und keine Sprache.

Schädlichs Lesung ist Teil von Literatour Nord. In jedem Jahr werden dazu sechs namhafte Autorinnen und Autoren zu einer Lesereise eingeladen. Am Ende wird dann der von der DG Bank gestiftete „Preis der Literatour Nord“ vergeben. Thomas Plaichinger

Heute, 19.30 Uhr, DG Bank, Stephansplatz 10