Ein Vakuum im Erholungsdruck

■ Der Senat will auf der verseuchten Billesiedlung einen Golfplatz bauen Von Ingo Böttcher

Der Blick auf den Stadtplan läßt die Billwerder Insel als tristen Flecken erscheinen: Das markanteste topographische Merkmal ist die Autobahn A 1, einige hundert Meter östlich kräuselt sich das Autobahndreieck Südost.

Wer sich jedoch hinwagt, wo der Falkplan aufhört, entdeckt zwischen den tideabhängigen Gewässern von Elbe und Billwerder Bucht eines der wichtigsten Naturreservate der Stadt. Der „Ornithologische Arbeitskreis an der Vogelschutzwarte“ verzeichnet für das Gebiet ein Lexikon seltener und sensibler Vogelarten, von ,Beutelmeise' über ,Habicht', ,Kormoran' und ,Nachtigall' bis zu ,Zwergsänger'. Nicht umsonst ist das Areal zentraler Bestandteil der „Landschaftsachse Elbufer“ im 1995 öffentlich ausgelegten Hamburger Landschaftsprogramm, das kurz vor der Verabschiedung steht. Eine Wildnis im Industriegebiet, ein Vakuum im „Erholungsdruck“.

Nicht mehr lange. Der Senat will auf der Billwerder Insel einen öffentlichen Golfplatz anlegen. Das Projekt nahm bereits 1994 Form an. Damals stellte sich heraus, daß 22 Hektar der benachbarten „Billesiedlung“ nicht mehr bebaut werden konnte. Über hundert Familien hatten hier in den fünfziger Jahren auf Dioxin, Cadmium und Arsen gebaut. Anfang der Neunziger mußten die meisten Bewohner ihre Grundstücke aufgeben, die 22 Hektar Siedlungsfläche wurden Sanierungsgebiet. Die verbliebenen Bille-Siedler stimmten gegen ein Gewerbegebiet und für eine „Grünlösung“.

Die sollten sie haben. Im April 1995 gab die Umweltbehörde kund, daß die ehemalige Billesiedlung zum Golfplatz tauge. Der Haken: 22 Hektar sind nicht genug für einen ordentlichen Platz im Sinne des „privaten Investors“, vertreten durch den Hamburger Golfverband. Deshalb durften die beauftragten Landschaftsarchitekten, das „Kontor Freiraumplanung“ aus Hamburg, ihren Aktionsradius auf die anliegenden 30 Hektar der Billwerder Halbinsel ausdehnen.

Die drohende Vernichtung des Vogelschutzgehölzes stieß schon innerhalb der Umweltbehörde bei den Ökologen vom Naturschutzamt auf Kritik. Doch die Stadtpark-Philosophen des Garten- und Friedhofsamts hielten sich lieber an die Auskunft des Planungsbüros, das angegeben hatte: „Die Wertigkeit des Gehölzes an sich ist nicht hoch einzustufen.“ Ein Fundi vom Naturschutzamt dazu: „Was wir erreichen, sind manchmal laue Kompromisse; und dann sind wir heutzutage schon stolz.“

Als Ende Januar 1996 auch die Umweltverbände Wind von den Golfplänen bekamen, war das Projekt „schon festgezurrt“, sagt Hans Joachim Spitzenberger vom Naturschutzbund. „Hier schafft die Umweltbehörde wieder mal – wie ich meine rechtswidrig – Tatsachen.“ Das Behördenkonzept erfülle nicht einmal die Auflagen des Bundesumweltministeriums für den „landschaftlichen“ Golfplatz. Die Rasenflächen brauchten Unmengen an Dünger und Pestiziden und müßten mehrmals wöchentlich geschnitten werden. Auch Rathaus-Grüne Antje Möller findet: „Es ist absoluter Unsinn und unverantwortlich, mit solch einer Monokultur die Artenvielfalt zu zerstören.“

Doch nicht nur der Artenschutz kommt zu kurz. Auch eine Diskussion um die sport- und damit sozialpolitische Bedeutung eines „öffentlichen“ Golfplatzes hat nicht stattgefunden. Banale Fragen der Realisierung bleiben unberührt: Wie sollen die Autofahrer auf der BAB 1 vor fliegenden Golfbällen geschützt werden? Die Rest-Billesiedler bestehen auf dem Erhalt des Fußballplatzes des SV Moorfleet mitten auf dem Gelände – werden Fußball und Golf sich ins Gehege kommen? Wird andauernder Rasenmäherlärm das Wohnumfeld belasten? Die Wasserwerke unterhalten auf dem künftigen Golfplatz Brunnen, die Brauchwasser liefern könnten. Es steht zu befürchten, daß die Brauchwassergewinnung mit dem Golfplatz endgültig ad acta gelegt wird.

Schadet nichts, sagt jedoch auch die Bezirksamtsleiterin von Bergedorf, Christine Steinert: „Hamburg leidet Not an Golfplätzen.“ Nach den Vorstellungen der Umweltbehörde soll die zuständige „Senatskommission für Stadtentwicklung und Landschaftsplanung“ den Bau des Golfplatzes Mitte März dieses Jahres beschließen – im Frühjahr 1997 kann's losgehen. Die erste und vermutlich einzige Gelegenheit für die Bevölkerung, Einblick zu erhalten und Einspruch zu erheben, bietet sich am morgigen Dienstag. Dann stellt die Behörde ihren Golfplatz dem Ortsausschuß Veddel/Rothenburgsort vor.

Für eine Umweltverträglichkeitsstudie und eine Flächenbilanzierung, wie sie beim Bau solcher Plätze eigentlich gefordert sind, wird es dann allerdings zu spät sein. Bald bewundern Autofahrer, vielleicht sogar transrapidale Reisende, das harmonisch belebte Landschaftsbild, und die Hamburger versorgen sich im Weihnachtsschlußverkauf bei Karstadt mit der notwendigen Ausrüstung – 899 Mark. Aber Kormoran und Co. verabschieden sich endgültig aus Hamburg.