Böses Erwachen im Mai

■ Hamburgs Haushaltskrise verschärft sich dramatisch: 300 Millionen Miese drohen zusätzlich / Hochschulen sollen noch mehr sparen Von Florian Marten

Hamburgs Haushaltskrise wird 1996 noch weit schlimmer ausfallen als bislang offiziell zugegeben: Schon heute steht fest, daß die Planzahlen der Finanzbehörde (siehe Kasten), die dem Haushaltsbeschluß 1996 zugrundeliegen, spätestens im Mai kräftig nach unten korrigiert werden müssen. Hamburgs Haushaltsloch von schon heute 3,2 Milliarden Mark für 1996 dürfte dann um locker 300 Millionen Mark höher ausfallen. Grund für das neue Loch ist eine Fehlschätzung vom November 1995: Die damals vom Bundesarbeitskreis Steuerschätzung vorgelegten Einnahmeprognosen waren viel zu optimistisch.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb Bundesfinanzminister Theo Waigel aufgefordert, umgehend eine aktualisierte Steuerschätzung für 1996 vorzunehmen. Das Ergebnis, so prophezeien die SPD-Finanzexperten, dürfte ein zusätzliches Finanzloch von 45 bis 50 Milliarden Mark in die Haushaltsvoranschläge von Bund, Ländern und Gemeinden für 1996 reißen. Für Hamburg sind damit zusätzliche Miese in satter dreistelliger Millionenhöhe jetzt schon so gut wie sicher.

Die Begründung der Bonner Sozis ist ebenso schlicht wie einleuchtend: Das Ritual halbjährlicher Steuerschätzung im November und Mai – dann tagt der Bundesarbeitskreis Steuerschätzung – werde der aktuellen Problemlage nicht gerecht. Schon heute wisse man, daß die Steuerschätzung vom November 1995 zu optimistisch war; sie beruhte auf überhöhten Wachstums- und Inflationserwartungen. Waigel solle deshalb ein Steuersondergutachten in Auftrag geben, damit haushaltspolitisch noch gegengesteuert werden könne.

Waigel dagegen verhält sich wie Ortwin Runde: Das Wissen um die künftige Einnahmeentwicklung wird nicht in die offizielle Finanzpolitik eingebaut. Da man nichts Genaues nicht wisse, so verlautet gleichlautend vom Gänsemarkt und aus Bonn, werde man neue Vorschläge erst unterbreiten, wenn es neue Fakten gäbe.

Das Szenario ist aus den vergangenen Jahren bereits sattsam bekannt: Wenn der Bundesarbeitskreis Steuerschätzung im Mai und November seine neuesten Horrorzahlen veröffentlicht, treten Waigel und Runde mit der ihnen eigenen Betroffenheitsmiene vor Parlament und Kamera und verkünden, angesichts der ebenso überraschenden wie dramatischen Einnahmeentwicklung der öffentlichen Hände müsse man leider jetzt die Latten im Parcours des Volksports Sparen erneut höher legen.

Derweil sind in Hamburg noch nicht einmal die tristen Ergebnisse der Steuerschätzung vom November 1995 verarbeitet, die, obwohl immer noch zu optimistisch, den Senat bereits zu einer Stufe II seines Konsolidierungsprogramms 1993-97 genötig hat: Auf die 800 Millionen Mark sogenannter „struktureller Haushaltsverbesserungen“ (Gebührenerhöhungen, Einsparungen) bis 1997 (Stufe I) sollen jetzt noch einmal 780 weitere Millionen aufgesattelt werden.

Für den kommenden Donnerstag hat beispielsweise Wissenschaftssenator Leonhard Hajen die Chefs der Hamburger Hochschulen zum Rapport bestellt. Er will mit ihnen die Auswirkungen des Sparprogramms II für die Hochschulen diskutieren. Ein Insider: „Das ist völlig absurd. Die Universität wird nicht einmal die Sparstufe I im vollen Umfang und im vorgesehenen Zeitrahmen erbringen können.“

Dabei müßte der Senat im Vorgriff auf das böse Erwachen im Mai eigentlich sogar längst ein Konsolidierungsprogramm III auflegen ...