West-östliche Polarität

■ betr.: „Joschka Fischers Symptom debatte“, taz vom 3. 2. 96

Wollen Politiker wirklich die letzten Ursachen für die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise ausloten? Michael Müller sieht zu Recht hinter der Beschäftigungskrise die neuerliche „Entfesselung der Kapitals“ (Dönhoff).

Vielleicht führt die Frage weiter, seit wann dieser barbarische ökonomisch-ökologische Unsinn die westlichen und dann mitteleuropäischen Hirne im capus angesteckt hat? Jeder kann es nachrechnen: seitdem sich als erstes Japan, dann weitere asiatische Staaten vom Beobachter zum Nachahmer gemausert haben. Diese west- östliche Polarität im feinfühligen Umgang mit materiellen Prozessen ist, wenn schon nicht mehr von einem Tenno abgesegnet, so doch von Halbgöttern (Titel eines Buchs „Die Buddha-Natur des Roboters“ oder „Der göttliche Ingenieur“). Die These von der „japanischen Herausforderung“ hatte einmal Hochkonjunktur und Lothar Späth empfiehlt bis heute, „mit Aggressivität in die asiatischen Märkte ein(zu)brechen“.

Die Weltwirtschaftskrise – Ausdruck eines Wettkampfes von Religionen? Max Weber würde heute sein Fazit ins Globale erweitern: Die Mobilisierung letzter Triebkräfte entscheidet über den Charakter des Kapitals.

Man stelle sich vor, das christliche Abendland – und „Das gemeinsame Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland“ wird das (um Basisstellungnahmen hervorragend ergänzt) erhellen – würde sich jetzt besonnen haben und sich klarmachen, wie eine Ökonomie der Nachhaltigkeit aussehen muß. Also eine Ökonomie, die von den Bedürfnissen der auf dem Entwicklungsweg befindlichen Individuen ausgeht, die unterscheiden lernen, was ihnen im Blick auf die nachwachsenden Generationen und Andersgläubige, -denkende, -fühlende guttut.

Alle, auch der letzte Tramper, sagen: „So geht's nicht weiter mit dem sinnlosen Verschwenden von Stoffen und Energien!“ Die Mülldiskussion zeigt, daß alle bereit wären, das zu konsumieren, was sie wirklich brauchen. Viele machen's schon vor und erhalten so ihre Lebensfreude und ihre Freunde. Das „Bündnis für Arbeit“ verschleiert, daß die Mündigkeit der Bürger als konsumierende Marktteilnehmer im Joker steckt. Wird diese Karte auf den Marktboden gelegt, dann kann uns das CO2 aus chinesischen Auspuffs nicht mehr schrecken.

Es kann nicht angehen, daß wir – so oder so – auf eine Milliarde Menschen zurücksinken, nur um den Lebensstandard von Millionären pflegen zu können. Auch solche Auswegstrategien, friedlich versteht sich, gibt es schon. Rechner machen es möglich. Es ist gut, so etwas zu denken, um zu sehen, wie wir aus einer solchen Todesfalle schnellsten wieder herauskommen. Gisela Canal, Ulm