Winterlich erhabenes Castrop-Rauxel

Die Ausstellung „Landvermesser“ in Mannheim begnügt sich damit, rein formal mit der Natur herumzuspielen  ■ Von Martin Pesch

Große und aufsehenerregende Ausstellungen wie „Der zerbrochene Spiegel“ oder „Das Abenteuer Malerei“ haben während der letzten Jahre die Ansicht durchgesetzt, daß Gemälde wieder die wichtigste Ausdrucksform der bildenden Kunst sind. Die Kritik, die an diesen Unternehmungen zu Recht die konservativen Züge hervorhob, konnte nicht ahnen, was der Kunstbetrieb aus der im großen Stil angerührten Suppe noch destillieren würde. Inzwischen gilt Malerei auf breiter Ebene nicht länger als anachronistische Form – also kann man das Thema bis zum letzten Aspekt melken. Kunstgeschichtlich und -betrieblich betrachtet ist es durchaus schlüssig, daß Häuser der mittleren Größe sich nun zuerst der Landschaft annehmen. JedeR kann sich vorstellen, was da in der nächsten Zeit noch folgen wird.

Landschaft als Sujet künstlerischer Auseinandersetzung scheint, wie Andreas Bee und Martin Stather als Kuratoren der Ausstellung „Landvermesser“ schreiben, „wieder in der Luft zu liegen“. Das allein kann aber nicht die Anstrengung rechtfertigen, eine Gruppenausstellung zu organisieren. Mit ein bißchen gutem Willen hätte man dieses Thema auch schon vor einigen Jahren aus den Ateliers quetschen können. Also warum gerade jetzt? Vor allem beziehen sich die beiden ausgiebig auf die bereits genannten Großveranstaltungen und setzen auf ein Einverständnis mit dem Mainstream. Das stellen sie auch dadurch nicht in Frage, daß die von ihnen gezeigten „Landschaftsdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“ neben der beherrschenden Malerei auch die Gattungen der Bildhauerei, der Assemblage und der kleinen Installationen streifen.

Versucht man den Bezug zur Ausstellung in den einzelnen Arbeiten wiederzufinden, wird klar, daß Landschaft hier nur Staffage für ganz andere Themen ist. Vielmehr scheinen sich die eingeladenen 30 KünstlerInnen – die meisten von ihnen sind in den fünfziger Jahren geboren – mit dem Problem herumzuschlagen, wie sie sich überhaupt noch äußern können. Landschaft erscheint ihnen als exemplarisches Sujet, an dem sie die Tatsache bewältigen wollen, daß es nichts gibt, was in der Kunstgeschichte nicht schon fermentiert und in den Medien des 20. Jahrhunderts nicht ständiger Reproduktion ausgesetzt ist. Landschaft ist in dieser Ausstellung also als ein schon längst durchbuchstabierter Text zu sehen, als ein Formenreservoir, zu dem die KünstlerInnen nur mehr noch kommentierend Stellung nehmen können.

Daß es bei dem Thema Landschaft, wie es hier präsentiert wird, um formales Herumprobieren geht, könnte die völlige Ausblendung des Umgangs mit Landschaft bestätigen, wie ihn die vorausgehende Künstlergeneration noch versucht hat. Dort hatte man sich zumindest in der Landart um das Sichtbarmachen von Landschaft als bedrohter Lebenswelt bemüht, und Künstler wie etwa Helen und Newton Harrison hatten sich um die Darstellung ökologischer Abläufe bemüht. Kein Wort davon in Mannheim.

Statt dessen gibt es fast erschreckende Zeugnisse künstlerischer Ratlosigkeit. Etwa wenn Susanne A. Homann drei kleine Leinwände mitsamt applizierter Kleintiere – überhaupt herrscht in dieser Ausstellung das Kleinformat, das soll die Distanz zur einstmals erhabenen Landschaft betonen! – weiß tüncht und darüber „Winterliches Castrop-Rauxel“ schreibt. Da lugt der Kalauer genauso um die Ecke wie bei Johannes Hüppis fickendem Paar in streifenhaft suggerierter Landschaft. Und David Hodges' „Verlorene VerliererII“, in Medaillons gefaßte einsame Männer in weiter Landschaft, liegt eine ebenso schwache Idee zugrunde wie Yves Siffers Landschaften, die er auf die Glasfläche von Autorückspiegeln gemalt hat.

Innerhalb dieser Belanglosigkeiten kommt einem die Arbeit „Voyage“ von Jean-Michel Frouin, obwohl sie überdeutlich ist, schon großartig vor. Die Rahmen sind mit Matratzenstoff bespannt, wie er in Konzentrationslagern benutzt wurde; darauf zu sehen sind schemenhafte, graue Landschaften. Sofort verbindet man damit Assoziationen von Deportierten, eingepfercht in Eisenbahnwaggons, die kaum einen Blick nach außen gewähren. Daß die Bilder vorbeiziehender Landschaften nur durch den Stoff zu erkennen sind, der die Gefangenen am Ende erwartet, zieht den durchfahrenen Raum – also ganz Europa – in die Verantwortung.

Lädt Frouin seine Landschaftsdarstellung noch geschichtlich auf, so faßt Sybille Berke mit ihrer Arbeit „Platzregen“ das Thema in nicht zu überbietender Abstraktheit. Auf einem schlichten Metallständer ist in Augenhöhe ein tablettförmiger Holzkasten angebracht. In dessen Mitte sieht man einen kleinen Quader, der mit blauem Pigment bedeckt ist. Das Leuchten der Farbe wirkt dadurch noch kräftiger, da Holz und Metall dunkel und neutral erscheinen. Ein rätselhafter Beitrag. Landschaft wird hier nur noch als Bezug von Raum und Fläche, als Kontrast verschiedener Farben sichtbar. Indem Berke das Sujet auf diese Beziehungen reduziert, macht sie eine künstlerische Auseinandersetzung mit ihm möglich, ohne ständig die eigenen Kenntnisse in Witz und Cleverness aufzulösen. Eine ähnliche Haltung findet sich auch in der Arbeit „Moderne Siedlung“ (1981) des Schweizer Duos Fischli/Weiss. Grob und nachlässig haben sie aus Ton drei Appartementhäuser geformt, ohne das Material fertig zu brennen. So bleibt die Landschaft am Ende ein Bild für die organisch aus dem Erdboden gewachsene Architektur.

„Landvermesser. Landschaftsdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“. Kunstverein Mannheim, bis 3. März 1996