■ In Rumänien ist per Gesetz jeder und alles ein Geheimnis: Rehabilitation des Schweigens
Eine der einprägsamsten Beobachtungen im Herbst 1989: Die gestürzten osteuropäischen Dikatoren wirkten nackt und lächerlich. Im Licht der Öffentlichkeit waren sie plötzlich senile Greise, grenzenlos in ihrem Mittelmaß, fast bedauernswert in ihrer Verstocktheit. Ihre Macht war ihre Starre: das Schweigen in allen Umständen, über alle Umstände. Suggeriertes Geheimnis, von dem Bedeutendes und Gefahrvolles ausgehen sollte. Also war in den osteuropäischen Diktaturen alles geheim, selbst die Gesetze zur Geheimhaltung. Und wer nach Gründen fragte, nach Begründungen für ganz Banales, machte sich verdächtig.
Sechs Jahre später wird das Schweigen wieder rehabilitiert. Regierungen fast aller osteuropäischen Länder betreiben einen neuen Kult um das Geheime. Mit wenig verblüffender Gleichzeitigkeit, nämlich vor allem dort, wo ehemalige Kommunisten wieder (oder noch) an der Macht sind. So unterschiedlich sie von Land zu Land sind, ihr Kult um das Geheime ist überall derselbe: Alte Geheimdienste werden mit neuen Vollmachten ausgestattet, die Akten der Vergangenheit unter Verschluß gehalten, Journalisten wegen Verbreiten von Staatsgeheimnissen verurteilt, neue Geheimhaltungsgesetze verordnet.
Das jetzt in Rumänien verabschiedete Gesetz über das Staatsgeheimnis ist der vorläufige Höhepunkt in diesem exzessiven Kult. Daß dieses Land der Spionage kaum etwas zu bieten hat, steht nicht in Widerspruch zum Gesetz, sondern ist gewissermaßen seine Ursache. Geheim kann, soll in Zukunft alles sein: die politische Konzeptlosigkeit der rumänischen Machthaber, die katastrophale Wirtschaftslage, die technologische Rückständigkeit. In der Aura des bedeutsamen Schweigens darüber verewigt sich die Macht.
Symbolisch erster Artikel des Gesetzes: Als Zeichen ihrer „Treue zum Land“ sind alle Staatsbürger zum Schutz des Staatsgeheimnisses verpflichtet. Je totalitärer die Macht, desto mehr haßt sie parlamentarische „Quasselbuden“, desto mehr braucht sie die Komplizen des Schweigens. Ihre Opfer sollen zu hysterischen Denunzianten werden, die gegenseitig ihre Reden, ihre Worte denunzieren. Damit niemand die Macht beim Namen nennt und sagt: Sie ist ja nackt. Keno Verseck, Bukarest
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