Netz der Lobbyisten reißt nicht

Wechselt die Bundesregierung nach Berlin, ziehen auch Tausende Lobbyisten um. Erst leiden die Kontakte, langfristig nimmt ihr Einfluß zu  ■ Aus Berlin Hannes Koch

Wenn 1999 der Exodus der PolitikerInnen aus Bonn beginnt, werden auch die meisten der rund 400 am Rhein ansässigen Lobby-Organisationen die Koffer packen. Viele der professionellen Einflußnehmer aus Verbänden und Firmen sehen der neuen Zeit mit gemischten Gefühlen entgegen. Der Umzug vom Dorf in die große Stadt könnte das in 50 langen Republik-Jahren gewachsene rheinische Beziehungsgeflecht zwischen Wirtschaft und Politik gehörig durcheinanderschütteln.

„Wir werden einen gewaltigen Umbruch beim Personal erleben“, prophezeit Elmar Fuchs, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Kfz-Sachverständigen, der schon seit anderthalb Jahren an der Spree residiert. Wenn Behörden sowie die Industrieverbände ins preußische Kernland ziehen, wollen viele Beamte und Lobbyisten lieber in der Rhein-Provinz bleiben: Sie sind entweder eingefleischte Karnevalsnasen oder besitzen dort Eigenheime und Familien. Alte Hasen aus Politik und Wirtschaft und ihre Kontaktpersonen auf der jeweils anderen Seite fallen für die Zukunft aus. Fuchs schätzt deshalb: „Der Umzug verursacht einen Effizienzverlust der Lobbyarbeit.“

Denn das Netz der gegenseitigen Information und Einflußnahme basiert in erster Linie auf persönlichen Beziehungen. Ein Beispiel gibt Philipp von Walderdorff, Protokollchef und Lobbyist des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) in Bonn: „Für heute abend habe ich ein Essen mit einem hohen Beamten des Wirtschaftsministeriums organisiert.“

Aufgrund seiner Hoheit über die Tischordnung plaziert von Walderdorff neben dem Ministerialen den Vertreter eines bestimmten Unternehmens, der mit jenem schon lange über einige Exportgeschäfte sprechen wollte. Dann können die beiden sich in aller Ruhe zwei Stunden unterhalten. Diese Art, Kontakte herzustellen und zu pflegen, funktioniert nur, weil der Lobbyist „fast alle Beamten in Bonn“ kennt, kein Leiter von MinisterInnen- oder StaatssekretärInnen-Büros, auch kein Abteilungsleiter ist dem DIHT-Vertreter fremd.

Während von Walderdorff es trotzdem kaum erwarten kann, mit seinem Verband 1999 nach Berlin zu ziehen, sieht es bei vielen seiner KollegInnen anders aus. Uwe Klein, Geschäftsführer des gleichfalls vom Umzug bedrohten Hauptverbandes des Einzelhandels, meint nur: „Ich bin gebürtiger Kölner.“ Mit ihm bleiben auch seine Beziehungen am Rhein. So wird manche Masche des Lobbyistennetzes zerreißen. „Es kann passieren, daß Steine aus dem Mosaik herausbrechen“, so Klaus Bräunig, Lobbyist des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Wer aber auf einen längerfristigen Demokratiezuwachs hofft, weil der Einfluß der Wirtschaftslobbyisten in der Berliner Republik abnehme, dürfte enttäuscht werden. Selbst die Skeptiker unter den Wirtschaftsvertretern rechnen allenfalls mit vorübergehenden Schwierigkeiten. Fluktuation beim Personal habe es auch in der Vergangenheit gegeben, so DIHT- Vertreter von Walderdorff, daran sei man gewöhnt. Die personellen Lücken würden nach kurzer Zeit wieder geschlossen. Und Winfried Grzenia vom Verband der Automobilindustrie (VDA), der zur Jahrtausendwende nach Berlin wechselt, meint: „Die Arbeit leidet nicht, wir ziehen ja nicht in die Antarktis.“

Der Einfluß der Wirtschaftslobby nimmt in Zukunft eher noch zu. Heute sitzen zwar viele Verbände in Bonn und Köln, andere sind aber zwischen Düsseldorf und Frankfurt/Main über 250 Kilometer verstreut. Die regionale Zersplitterung gehört der Vergangenheit an, wenn 1999 der große Umzugsboom nach Berlin einsetzt. Die Interessengruppen sammeln sich in der neuen Hauptstadt. Zusätzlich beziehen bislang vereinzelte Organisationen gemeinsame Domizile. So wollen der BDI (Köln), DIHT (Bonn) und die Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA, Köln) in Berlin ein gemeinsames Haus bauen. Die Wege werden kürzer, Kooperation fällt leichter, und Politiker sehen sich später Lobbyisten gegenüber, die mit dem Auftrag mehrerer Organisationen ausgestattet sind. Gerade wegen der engen Beziehungen zwischen Verbänden, Legislative und Exekutive wollen sich andere denn auch von der neuen Zentrale fernhalten. „Man muß den Parteien auf die Füße treten“, meint Greenpeacesprecher Rüdiger Rosental. „Wenn man zu nahe dran ist, umgarnen sie einen.“ Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat mit Berlin nicht viel im Sinn. Hintergrund ist hier, daß das Bundesumweltministerium vorläufig nicht umzieht. So bleiben die Ökos im Westen, während sich die großen Wirtschaftsorganisationen im Osten in einer für bundesrepublikanische Verhältnisse neuen Dichte zusammenrotten.