„Wir befinden uns da in einer Zwickmühle“

■ Sozialexpertin Andrea Fischer von den Bündnisgrünen will Umbau des Steuersystems

taz: Sind die Bündnisgrünen für oder gegen den von Blüm vorgeschlagenen Stopp der Frühverrentung?

Andrea Fischer: Wir sind für einen langsamen Ausstieg aus der Frührente, um zu vermeiden, daß durch einen scharfen Schnitt die Arbeitslosigkeit von jüngeren Menschen steigt. Es muß eine Übergangsfrist festgelegt werden, und im „Bündnis für Arbeit“ muß mehr darüber geredet werden, welche betrieblichen Voraussetzungen es für Altersteilzeit in großem Umfang geben soll. Denn wir brauchen eine Arbeitszeitpolitik, die Teilzeit für weite Teile der Belegschaft ermöglicht, auch für Meister, Vorarbeiter, Facharbeiter und Führungskräfte.

Die Gewerkschaften lehnen die Blümschen Vorschläge nicht prinzipiell ab. Sie fordern allerdings den Fortbestand der alten Regelung für alle, die zur Zeit älter als 55 Jahre sind, während Blüm die Grenze bei 57 Jahren zieht. Die Differenz macht immerhin einen Milliardenbetrag aus.

Ich sehe das finanzielle Problem. Wir befinden uns da in einer Zwickmühle. Deswegen sollte man schauen, wie die Arbeitgeber stärker dazu verpflichtet werden können, sich an den Kosten der Frühverrentung zu beteiligen. Bislang ist es so, daß sie von sozialstaatlichen Möglichkeiten profitieren, aber gleichzeitig politisch fordern, den Sozialstaat abzubauen. Was sie im Moment machen, ist Trittbrettfahrerei im Sozialstaat.

Was halten Sie von dem vor allem von der SPD propagierten Vorschlag, die Rentenkasse von versicherungsfremden Leistungen – zu denen man ja auch die Frührente zählen könnte – zu entlasten?

Grundsätzlich kritisiere ich an dieser Diskussion, daß es nicht sinnvoll ist, die Sozialversicherung nach reiner Beitrags-Leistungs- Äquivalenz zu organisieren. Dann könnten wir uns ja auch alle privat versichern. Aber angesichts der allgemeinen Aufgaben, die von den Sozialkassen getragen werden, sind die Bündnisgrünen dafür, daß der steuerfinanzierte Anteil erhöht werden muß.

Aber das sind Beträge, die sich angesichts der leeren Staatskassen nicht so leicht aufbringen lassen, selbst wenn Beamte und Selbständige endlich auch zur Kasse gebeten würden.

Das stimmt. Diese Summen können nur über einen gründlichen Umbau des Steuersystems finanziert werden. Deswegen können wir uns das auch nur im Rahmen der Ökosteuer-Reform vorstellen.

Das wäre aber, wie alle Vorschläge der Bündnisgrünen zur Sanierung der Rentenkasse, auch eine mittel- bis langfristige Lösung. Was schlagen Sie kurzfristig vor?

Ich sehe keine Möglichkeit, die ganz kurzfristig greift. Da soll man den Leuten auch keinen Sand in die Augen streuen. Denn alles, was man kurzfristig machen könnte, um die Rentenkasse zu entlasten, finden wir als Problem in der Arbeitslosenkasse oder in der Sozialhilfe wieder. Das grundlegene Problem ist die große Erwerbslosigkeit. Da kommen wir nicht so schnell raus. Wer trotzdem die Kosten ganz rasch abbauen will, der will den Arbeitslosen gar nicht mehr beistehen.

Die Beitragszahler sind kaum noch bereit, 20 Prozent des Bruttoeinkommens an die Rentenkasse abzuführen, die Rentner wehren sich gegen eine Kürzung ihrer Altersversorgung. Wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der Sozialkassen nicht ein Befreiungsschlag?

Ich halte auch in dieser dramatischen Lage nichts von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Nicht nur, weil davon vor allem wieder jene mit geringem Einkommen betroffen wären. Sondern im Moment heißt es ja, wir erhöhen die Mehrwertsteuer, um die Beiträge für die Sozialversicherung zu senken. Das ist ein geradezu unanständiger Vorschlag; die, die jetzt erwerbslos sind, haben von den niedrigeren Beitragssätzen nichts. Die Grünen haben statt dessen vorgeschlagen, durch die Erhöhung der Mineralölsteuer einen ersten Schritt in Richtung Ökosteuern zu machen und dieses zusätzliche Steueraufkommen zum Teil für die Sozialpolitik und zum Teil für Maßnahmen zum ökologischen Umbau zu verwenden.

Aber eine Erhöhung der Mineralölsteuer geht doch ebenfalls zu Lasten der Einkommensschwachen.

Ja, da muß man auch über soziale Ausgleichsmaßnahmen nachdenken. Aber systematisch macht das doch einen Unterschied, ob wir auf das verstaubte Mittel der Mehrwertsteuererhöhung zurückgreifen oder endlich anfangen mit dem dringend notwendigen ökologischen Umbau.

Interview: Karin Nink