Gerry Adams hat ausgespielt

■ Majors Kalkül ist nicht aufgegangen

Überraschend war lediglich der Zeitpunkt. Man hatte damit gerechnet, daß die IRA bis zum Monatsende warten würde, weil die Regierungen in London und Dublin bis zu diesem Termin Allparteiengespräche versprochen hatten. Offenbar war die IRA zu der durchaus realistischen Einschätzung gelangt, daß der britische Premierminister John Major nie die Absicht hatte, diesen Termin einzuhalten – das innenpolitische Hemd sitzt ihm nun mal näher. Der Friedensprozeß in Nordirland hätte nur Erfolg haben können, wenn Major bereit gewesen wäre, die Konfrontation mit den Unionisten zu wagen. Doch seine schwache Regierung ist im Unterhaus eben diesen Unionisten ausgeliefert. So spielte er von Anfang an falsch. Sein Kalkül, daß die Zeit auf seiner Seite sei und jeder Tag Waffenruhe die IRA weiter schwächen würde, ist nicht aufgegangen.

Das alles ist natürlich keine Entschuldigung für den Bombenanschlag. Im Herbst 1994 hatte die IRA eingeräumt, daß der bewaffnete Kampf in einer Sackgasse angelangt war. Ihr Armeerat muß sich nun fragen lassen, welche Veränderungen in den letzten 17 Monaten eine Rückkehr zur Gewalt rechtfertigen. Sollte der Anschlag als „Warnschuß“ gemeint sein, dann ist der IRA ein verblüffender Realitätsverlust zu bescheinigen: Major hat jetzt bessere Karten als zuvor, kann ihm nun doch niemand sein Beharren auf Ausmusterung der Waffen verübeln. Das erklärte Ziel seiner Regierung vor dem Waffenstillstand bestand ohnehin nur darin, die Gewalt auf ein „erträgliches Maß“ zu reduzieren.

Mit ihrem Anschlag wollte die IRA vor allem die Spaltung ihrer Organisation verhindern. Die Spatzen pfiffen in den letzten Wochen von den Dächern, daß die Gegner des Waffenstillstands – ursprünglich knapp ein Drittel der Mitglieder – Zulauf erhalten hatten. Man muß Gerry Adams und den anderen Sinn-Féin-Führern glauben, daß sie in die IRA-Pläne nicht eingeweiht waren. Adams steht vor dem Ende seiner Karriere: Distanziert er sich nicht von dem Anschlag, wird er vom politischen Mainstream in Britannien, Irland und den USA, den er in letzter Zeit so hofiert hat, geächtet; sagt er sich von der IRA los, ist er für die drei Regierungen als Gesprächspartner bedeutungslos geworden. Die nächste Runde im Teufelskreis der Gewalt ist jedenfalls eingeläutet: Sobald der erste nordirische Polizist getötet wird, greifen auch die Loyalisten wieder zu den Waffen. Und diesmal kommt auf beiden Seiten die Verbitterung über die vergangenen 17 Monate hinzu. Ralf Sotscheck