Es geht um das Ansehen der Kirche

■ Elisabeth Lingner, Präsidentin der Nordelbischen Synode, über Segen, Signale und Sexualität

Die Nordelbische Kirche (NEK) windet sich: Sollen gleichgeschlechtlich liebende Gläubige gleiche Christenrechte haben? Wie homosexuell dürfen Pfarrer sein? Ist es gerechtfertigt Schwulen und Lesben die kirchliche Trauung zu verwehren? Über diese Fragen will die NEK-Synode Ende März beraten und ein Votum abgeben, wie und ob die verschiedenen Lebensweisen im kirchlichen Kontext gewollt sind. Der Mut zu Veränderungen scheint gering und die Angst vor öffentlicher Auseinandersetzung groß. Synodenpräsidentin Elisabeth Lingner scheut in dieser Diskussion keine offenen Worte und wird deshalb von konservativen Gruppen und eigenen Bischöfen kritisiert. Selbst von Rücktrittforderungen aus diesen Kreisen läßt sich Lingner wenig beeindrucken, sie prangt Diskriminierungen an und tritt für Partnerschaftssegnungen von Schwulen und Lesben ein.

Wie sieht die Situation von schwulen und lesbischen MitarbeiterInnen in der Kirche aus? Wird diskriminiert?

Die Situation von lesbischen und schwulen Mitarbeitern ist sicherlich unterschiedlich und von daher ist es schwer zu sagen, wie Diskriminierung wo geschieht. Aber sie geschieht auf vielfältige Weise. Nicht zu vergessen, welche jahrhundertelange Tradition der Diskriminierung von Homosexuellen auch innerhalb der Kirche bestand. Sie waren einfach als „Sünder“ abgestempelt. Deshalb hat die Kirche eine besondere Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit dem Thema Lebensformen und Verantwortung dieser Menschen.

Warum wird derzeit in der NEK über Lebensformen gestritten?

Die Nordelbische Synode hat bereits einen Synodentag über „Ehe, Familie und andere Lebensformen“ veranstaltet und wird den Austausch bei der Themensynode am 22./23. März fortsetzen. Da es in Kirche und Gesellschaft vielerlei Lebensformen gibt, Singles, Alleinerziehende, Zusammenlebende ohne und mit Trauschein, Familien mit und ohne Kinder, Wohngemeinschaften etc. müssen wir auch innerhalb der Kirche zur Kenntnis nehmen, daß Ehe und Familie längst nicht mehr das alleinige Ideal des Zusammenlebens sind – auch nicht innerhalb unserer kirchlichen Mauern. Diese beiden Lebensformen sind zwar nach wie vor wichtig und nicht in Frage gestellt, daneben müssen andere akzeptiert und einer Gleichstellung zugeführt werden. Doch darüber besteht innerkirchlich kein Konsens.

Ist denn von solchen Diskussionen etwas zu erwarten?

Es geht nicht um eine unproduktive, überflüssige Streiterei, sondern um die Notwendigkeit, über die Art, wie Menschen zusammenleben wollen und was wir zur Norm machen, gemeinsam nachzudenken. Das Thema geht nahe und löst Ängste und Widerstände aus, da durch die Diskussion unsere Identität in Frage gestellt wird. Um dieses zu überwinden, müssen wir uns Zeit nehmen für die Annäherung an die Frage: Wie lebe ich und warum lebe ich so?

Ist diese Diskussion nötig?

Sie ist notwendig, weil es auch um das Ansehen der Kirche geht. Anziehend ist sie dann, wenn sie authentisch und ehrlich ist und Menschen dort abholt, wo sie sind. Es geht um die Qualität der Beziehungen, um die Art und Weise des Umgangs miteinander, die wir bedenken müssen, nicht, daß jemand formal „richtig“ lebt, d.h. sich an alte Normen hält und deshalb schon „richtig“ lebt, was ja einfach wäre.

Wenn wir in diese Diskussion nicht einsteigen, werden wir viele Menschen für die Kirche verlieren, da sie ihre Fragen und Situationen nicht aufnimmt und berücksichtigt, sondern die Erfüllung bestimmter Regeln erwartet und verordnet. Damit Menschen bleiben und sich wohlfühlen, brauchen sie in der Kirche wie anderswo das Gefühl, gleichberechtigt zu sein, brauchen emanzipatorische Konzepte.

Wie wird sich die NEK künftig zu Partnerschaftssegnungen für Schwule und Lesben stellen?

Verschiedene Organe unserer Landeskirche arbeiten momentan theologisch am Thema „Segnung“. Ich denke, daß im Laufe der Zeit Hemmungen, Widerstände und Blockaden gegenüber der Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner geringer werden. Ich glaube aber auch, daß hier noch große Vorbehalte bestehen und die Angst, daß mit Einführung und Akzeptanz neuer Rituale und Verhaltensformen das Altbewährte, Vertraute abgewertet wird und seine Wichtigkeit vollends verliert. Weil für viele damit auch ein großes Stück Tradition und Sicherheit auf dem Spiel stehen kann, muß man mit der Thematisierung eines solchen Themas sehr behutsam umgehen. Persönliche Begegnungen sind hier das Wichtigste, Berührungsängste aufzuzeigen. Es geht nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern unterschiedliche Lebensalternativen als gleichberechtigt nebeneinanderstehen zu lassen. Und dazu gehört auch, anderen die Segnung als den Wunsch, den göttlichen Segen für das Zusammenleben zu erhalten, zuzugestehen. Daß Menschen ihr gemeinsames Leben, das sie in Verantwortung und Treue leben möchten, unter den Segen Gottes stellen wollen, kann ich nur als positiv und tröstlich ansehen.

Sollte die Kirche Schwulen und Lesben etwas signalisieren?

Schwule und lesbische Menschen sind akzeptiert und gewünscht in der Kirche, es ist auch ihre Kirche. Wir brauchen ihre Impulse, Ideen, ihre Erfahrungen der Abwertung und des Gefühls, einer Minderheit anzugehören, ihre Hinweise, wie sie nach Diskriminierung wieder Hoffnung erlangen. Wir brauchen es, daß sie von sich erzählen, von den Konflikten und Problemen, von der Lebensfreude, Wachheit und ihrer Vision für unsere gemeinsame Kirche. Sie sollen uns Mut machen, selbst authentisch zu sein.

Was wünschen Sie sich von homosexuellen Christen?

Ehrlichkeit, Mut, Klarheit und das Einbringen ihrer Lebenserfahrung und Spiritualität. Durch die Thematisierung ihrer Sicht von Realität erhoffe ich mir, daß Veränderungen unserer kirchlichen Strukturen möglich werden und eine lebendige Atmosphäre entsteht.

Haben Sie von Schwulen und Lesben gelernt?

Menschen sind unterschiedlich, sind von Gott unterschiedlich gewollt. Menschen, deren psychische und sexuelle Identität sich in einer Partnerschaft auf das gleiche Geschlecht bezieht, haben Erfahrungen gemacht, die die meisten nicht kennen oder teilen, auch Erfahrungen, eine ausgegrenzte, nicht akzeptierte und diskriminierte Minderheit zu sein. Daher hat der unmittelbare Kontakt zu schwulen und lesbischen Menschen meinen Horizont sehr erweitert. Ich habe mich auch immer sehr gefreut, wenn Menschen das Vertrauen zu mir hatten und sich ehrlich zu dem bekannten, was sie waren. Das war für mich stets ein Zeichen großen Vertrauens.

Fragen: Miguel-Pascal Schaar