Glockenkrieg in der taz

■ Glockenspiel der Kirche spaltet die Redaktion – Lobet den Herrn!

Ach, wie schön, ein Glockenspiel! Und das in dieser an Ritualen so armen Zeit! Wo doch die Besinnlichkeit längst von blutigen Splattershows dahingerichtet wurde. Wo niemand mehr, außer in der Pizzawerbung, wagt, romantisch zu sein. Wo eine Kerze gleich politisch ist. Wie schön, da einen Kirchturm in der Nachbarschaft zu haben, der Ton für Ton schon fast vergessene Weisen in die Welt entsendet. „Lobet den Heherren“!

Im Dreistundenrhythmus kömmt er auf das neue Domizil der taz hernieder. Eine einfache Melodie, aber mit welcher Kraft. Da klingt es an im Inneren, da stößt es auf Echo und wieder zurück. Du singst mit, ohne daß du es bemerkst: „Lobet den Heherren!“ Es ist wie ein Zwang, dein Unterbewußtes wiegt sich versöhnlich im Bimbam.

Leider gibt dieses nicht mehr vom Text preis als eben jenes „Lobet den Heherren!“ Die Glocken wissen auch nicht weiter. Aber was macht das schon? Die halbe taz-Belegschaft rettet sich mit „mmmm“ über die Runde, außer natürlich beim Refrain: „Lobet den Heherren!“

Zwei Wochen hielt die Glückseligkeit, war die Erste Schlachtpforte voller Harmonie. Entspannt ist man am Abend nach Hause geradelt, manchmal noch immer mit jenem Lied auf den Lippen. Mühelos war man im gleichmäßigen Rhythmus des eigenen Singsangs vorwärts gekommen, über Minuten, Stunden und Tage. Doch für alle Ewigkeiten sollte es nicht reichen. Denn erste Bedenken melden sich an. „Oh nein, nicht schon wieder!“, entfuhr es jüngst einer Kollegin, als wieder einmal die Glocken der Martinikirche sacht das Hohelied des Heherren einläuteten.

Auch Dora H., ansonsten gewissen Bluesrichtungen der Kirche durchaus aufgeschlossen, findet, der Küster könnte mal eine andere Platte auflegen. „Macht hoch die Tür“, oder „Oh Heiland reiß die Himmel auf“, oder „In dulci jubiloho“. Das waren doch mal richtige Hits in den christlichen Charts. Wo sind sie gebliehiben?

Der Mensch braucht Abwechslung. Sowas weiß man, das steht täglich in der Zeitung. Ohne Abwechslung ermüdet der Geist, er wird tumb und versinkt in unnützem Nichtstun. Doch halt, da ist sie! Die Zeile! „Psalter und Harfe wacht auf!“ Damit übersteht Dora H. wieder einen Tag mit dreimal „Lobet den Heherren“. Derart positiv geprägt, erinnert sie sich auch an die vierte Zeile des Liedes. Aber die verschweigt Dora H. aus ideologischen Gründen. Da wird zu was aufgerufen, was ihr nicht paßt.

Verschweigen will sie indes nicht, daß manche Kollegen ihre ungeduldige Haltung nicht verstehen. Sie sind noch immer ganz beseelt vom Anschlag der Glocken, der Süßheit der Melodie, dem dämmernden Halbwachtraum, in den das Lied sie versetzt. Ob drei oder sechs Uhr, sie summen ihr „Lobet den Heherren“ mit, selbst beim Formulieren der schärfsten Kommentare gegen manche Herren. Das macht ihnen gar nichts, im Gegenteil, das scheint sie zu beflügeln.

Nur mit der Entspannung ist es für Dora H. vorbei. Sie leidet, und mit ihr fallen andere der Bestürzung anheim, während der zweite Teil der Belegschaft beim schiefen Glockenschlag ebenso schief vor sich hinbrummt.

Täglich wird der Kampf der beiden Gruppen um Majoritäten erbitterter. Es wird hart gerungen um das letzte Wort, Überzeugungsversuche gehen einher mit Bestechungsversuchen. Milka-Schokolade muß herhalten, damit zur anderen Glaubensfraktion konvertiert wird. Daneben der Nerv, denn unaufhörlich bimmelt es weiter.

„Ich halte da ne Flak rein“, gab ein Kollege jüngst von sich, ohnmächtig gegenüber den Glöcknern, den Glocken und der Gewißheit, daß sein Schicksal zur Ewigkeit verdammt ist.

Dora H. hat sich einen anderen Umgang zugelegt, nachdem sie wochenlang wie gebannt um fünf vor Glockenschlag auf ihre Uhr starrte und gereizt den Singsang der Kollegen erwartete. Der kommt, weiß sie, verläßlich und pünktlich, ohne daß die das überhaupt merken.

Dora H. hat daher beschlossen, ihren Terminkalender nach dem Glockenspiel auszurichten und zu den jeweiligen Uhrzeiten das Weite zu suchen.

Man soll sie - begleitet von einigen MitstreiterInnen - in den letzten Tagen häufiger im Dom gesehen haben. Da dringt kein Ton von außen nach innen. Nur Stille, reine Stille. Wie erholsam!

Dora Hartmann