Sanssouci: Nachschlag
■ Die Grausamkeit von Blut und Rüben – Gert Hof inszenierte Albert Drach in der Kulturbrauerei
Ach je! Ein Mädchen an Krücken wird von weißgewandeten Kinderfeen mit Fleischklopfern erschlagen, rotes Wasser (= Blut) rieselt hektoliterweise vom Schnürboden auf die Kinder (inzwischen mit bandagierten Köpfen), die sich schuldig gemacht haben. Dazu formen aufflammende Scheinwerfer ein riesiges Hakenkreuz. Ein Schwarzer hängt kopfüber in einem Flaschenzug, und sonst pritschelt viel Flüssigkeit auf den Gummiboden. Ja, es soll hier verstört und beunruhigt und angeklagt werden. Die Ismen im Multipack stehen zur Diskussion.
Albert Drach, der letztes Jahr verstorbene, fast vergessene österreichische Dichter, liefert den Anlaß. Sein heftig didaktisches Hörspiel über das Machtverhältnis weißen Herrenmenschentums gegenüber den kolonialisierten schwarzen Kulturen ist die Folie: „A und K oder ein Brudermord wird wiedergutgemacht“ – A und K wie Abel und Kain, aber auch wie Kafka. Denn der Schwarze wird eines absurden Mordes angeklagt, den er gar nicht begangen hat. Ein aufklärerischer Diskurs, wortgewaltig im typischen 60er-Jahre-Lehrstück-Stil. Dialektische Strukturanalyse reicht dem Regisseur Gert Hof (der einst Bernard-Marie Koltès auf DDR-Spielpläne hievte) jedoch nicht. Zwischen das stadttheaterhaft brav rezitierte Textmaterial schiebt er seine gar gräßlichen Bilder. Die hoffnungslose, kalte, faschistoide, gewalttätige und so weiter Gesellschaft auf der Anklageschlachtbank. Ein schlagzeilenträchtiges Unterfangen in Tübingen – vom dortigen Landestheater stammt die Provo-Klamotte nämlich. Im Schwäbischen malte der Wiener Schock-Surrealist Gottfried Helnwein das Plakat zum Stück, in Berlin steuerte er einige perforierte Metallteile sowie ein bemaltes Prospekt bei und ist somit fürs Bühnenbild verantwortlich.
Das Publikum reagierte grausam auf den heftig didaktischen Text in der Ausstattung von Gottfried Helnwein. Hier eine Szene mit Harry Nehring und André Wagner Foto: Martin Dettloff
Liebe Stadttheaterleute, lest mal Zeitung! Da wird derzeit der Fall des Fernsehbilderfälschers Michael Born verhandelt. Ein Lehrstück über den Marktwert von Gewaltbildern. Welcher Reporter hat den blutigsten Arm von Vukovar im Angebot? Liebe Stadttheaterleute, fahrt mal U-Bahn! Da seht ihr die ausgemergelten Schnorrer, und wenn ihr Glück habt, auch noch einen Junkie, der sich in einem Aufgang einen Schuß setzt. Und dann geht in eure Dramaturgenstuben und versucht Artaud fürs Hier und Jetzt zu definieren! Die Grausamkeit von Blut und Rüben – ach Gott, da ist die Wirklichkeit soviel provokanter als diese Metaphern aus dem warmgehaltenen Greuelfundus von Nitsch und Kresnik und Castorf. Ein Teil des Publikums in der ausverkauften Kulturbrauerei verabschiedete sich schon gelangweilt während der kurzen Vorstellung. Danach müder Applaus, nur ein einziges müdes Buh. Grausamer kann man auf Provokation nicht reagieren. Gerd Hartmann
„A und K oder ein Brudermord wird wiedergutgemacht“, noch heute, 21 Uhr in der Kulturbrauerei; Bilder von Gottfried Helnwein zum Stück bis 10. März in der Galerie im Pferdestall ebendort, Knaack- Ecke Danziger Straße, Prenzlauer Berg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen