Müllmonster greifen an Von Carola Rönneburg

„Kann ich am Wochenende bei dir übernachten?“ In diesen Tagen werden wieder Hilferufe aus dem Karnevalsgebiet laut. Mainzer, Düsseldorfer und Kölner kehren ihrer Heimat den Rücken und verbringen die Narrenzeit in frohsinnfreien Zonen. Im Gegenzug gewähren sie gern Asyl, wenn zum Beispiel die Hamburger Hafengeburtstagsflüchtlingswelle rollt.

Auch ich pflege eine solche Städtepartnerschaft, seitdem die Berliner Love Parade zur staatstragenden Kulturveranstaltung mutierte und inzwischen sogar von der „Abendschau“ (SFB) live übertragen wird. In diesem Jahr kommt jedoch alles noch schlimmer, und zwar am 5. Juni. An diesem Mittwoch werde ich nicht nur die Stadt, sondern das Land verlassen müssen. Am 5. Juni ist nämlich landesweiter Umwelttag mit integriertem Kinderaktionstag. Was da auf uns zukommt, schilderten Anfang Februar ein GEW-Sprecher und sein Kollege vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf einer Pressekonferenz. Lehrer und Kindergärtner, so der Mann von der GEW, sollen schon jetzt „Projekte mit Kindern organisieren, die ihnen helfen, sich aktiv in den Umweltschutz einzumischen“.

Gemeint ist damit, daß die lieben Kleinen zum Beispiel „ihre Bildungsstätten kritisch unter die Lupe nehmen und deren Wasser- und Energieverbrauch untersuchen“. Welcher Lehrer läßt immer das Licht in der Turnhalle brennen? Wer wischt verschwenderisch oft die Tafel ab?

Die schnelle Einmischtruppe 3b wird jedoch nicht nur in ihrer Aufbewahrungsanstalt gefordert sein. BUND-Sprecher Sascha Klettke hält noch ganz andere Vorschläge parat. Er ruft den Nachwuchs dazu auf, „Müllmonster aus Aluminium zu bauen, nach Umweltverschmutzern zu suchen und Falschparkern rote Luftballons an die Autos zu hängen“. Außerdem sollen sich die Müllmonsterbastler als „Hauptleidtragende“ der Umweltzerstörung „die Straße zurückerobern“. Laut Klettke funktioniert das am besten auf „mit Kreide bunt bemalten“ Straßen, wo „Rollrasen, Sandkästen und Planschbecken“ als verkehrsberuhigende Elemente zum Einsatz kommen.

Ohne mich! Wenn am 5. Juni die Projektgruppen ausschwärmen, Plastiktütenträger jagen und ihre Einkäufe auf Umweltverträglichkeit prüfen, bin ich nicht hier. Wenn andere mit einem Bänderriß ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, weil sie über ein Müllmonster gestolpert sind, genieße ich den Nachmittag in Paris. Während meine Nachbarn unter den unbarmherzigen Fragen der Hausmüllkontrolleure von der Kita „Ökospatz“ heulend zusammenbrechen, sitze ich auf dem Place de la Concorde und lausche dem fröhlichen Brummen des Verkehrs, drei Zigaretten auf einmal paffend. Ab und zu genehmige ich mir einen Schluck Coca-Cola aus der Dose. Voller Mitgefühl denke ich an meinen Freunde in der Heimat, die jetzt wahrscheinlich in eine Zwickmühle geraten sind: Sollen sie, allen Benimmregeln zum Trotz, dem kleinen Hauptleidtragenden eine Ohrfeige verpassen? Oder besser abwarten, bis er den Rollrasen verlassen hat und ihm dann ein Bein stellen?

Zufrieden blinzele ich in den smogverhangenen Nachmittagshimmel. Wenn ich zurückkomme, hat ein warmer, saurer Regen die bunte Kreide von den Straßen gewaschen.