Pietätvolle Fernsehbestattung

■ Warum mußte Khaled sterben? „Wurzeln des Terrors – Die unheimliche Wut in den Ghettos“ (21.15 Uhr, WDR)

Khaled Kelkal war schon immer anders als die anderen. „Er trug Mokassins und Jeansjacke“, erinnert sich seine Lehrerin, „und nicht wie die anderen Lederjacke und Turnschuhe.“ Das Abitur hätte er sicher irgendwie über die Bühne gebracht. Khaled war „ja so intelligent“.

Aus dem „arabischen Vorzeigekind“ hätte einiges werden können. Daß der in Lyon geborene 24jährige Kelkal irgendwann anfing, Leute abzuknallen, ganz Frankreich schließlich den Krieg erklärte und zum Topterroristen avancierte, kann sich von seinen Freunden aus der Videogruppe in einem Lyoner Vorortghetto niemand erklären. „Irgend jemand muß ihn manipuliert haben“, orakelt da ein Pfarrer. Und der einst meistgesuchte Terrorist Frankreichs erklärt seinen Werdegang posthum ebenso schlicht wie sibyllinisch mit dem Satz: „Irgendwann wird man unweigerlich zu einem Verbrecher.“

Im September 1995 exekutierte ein Sonderkommando der Armee Kelkal auf offener Dorfstraße und vor laufenden Fernsehkameras. Mit der Ausstrahlung wurde Khaled zum erlegten Mattscheibenmonster und zum medialen Opferlamm der Trabantenstadtjugend.

Die WDR-Reportage „Wurzeln des Terrors“ von Tina Hassel und Isabel Shayani zeichnet die Vita Kelkals als diffuse Passionsgeschichte eines Mißachteten nach, dem, von den Mitschülern ungeliebt, von den Lehrern gepiesackt, nur der Weg in die „innere Emigration“ offenstand. Keine Silbe über seine Attentatsserien, kein Wort über die islamistischen Ziele. Nur gefühliges Geraune über Verwirrung und Unbill eines Mißachteten. Geht dem Off-Kommentar die Puste aus, sollen retardierende Bilder von Brandflecken, Autowracks und schmuddeligen Wohnsiloschluchten die Argumentationsnöte und offensichtlichen Rechercheschwächen kitten.

Allzu schüchterne Befragungen und eine Kamera, die Zoom und nahe Einstellungen tunlichst vermeidet und sich auch sonst ihrer Aufnahmen ständig zu schämen scheint, stärken schon frühzeitig den Verdacht, daß es dem Beitrag eher an einer nachträglichen pietätsvollen Fernsehbestattung gelegen ist als an einem soziologischen Porträt des Untergrundlers. So müssen wir uns am Ende mit dem respektvollen Blick auf die frischen Schnittblumen auf einer unbeschrifteten Grabplatte zufriedengeben. Für Einblicke in die „Wurzeln des Terrors“ bleibt der letztlich viel zu entrückt. Birgit Glombitza