Fauler Segen aus dem Westen

Polen wurde nach 1989 zur Giftmüllkippe Osteuropas. Heute schicken die Behörden als „Wirtschaftsgut“ deklarierten Sondermüll zurück  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Der Zwanzigtonner wird schnell abgefertigt. Grenzer und Fahrer kennen sich schon lange. Zbigniew T. fährt Obst und Gemüse von Deutschland nach Polen. Diesmal sind es Orangen. Papiere werden gestempelt, unterzeichnet, zu den Akten genommen. Als Zbigniew den Grenzer nur noch im Rückspiegel sieht, fingert er eine Zigarette aus der Brusttasche und nimmt einen tiefen Zug. Diesmal hat er nicht nur Orangen geladen. Unter den Obstbergen tickt eine tonnenschwere Zeitbombe: Pflanzenschutzmittel, hochgiftig und in Deutschland seit Jahren verboten.

„In diesem Fall hatten wir Glück“, erklärt Wojciech Swiątek vom Prüfungsamt des Umweltministeriums in Warschau. „Wir bekamen einen Tip aus der Bevölkerung, stellten das Zeug sicher und schickten es postwendend zurück. Aber das klappt nicht immer. Müllgangster arbeiten meist mit Briefkastenfirmen. Und da bleiben wir dann auf dem Dreck sitzen.“

Der Abfallexperte spricht aus bitterer Erfahrung. Polen, das seit 1989 seine Grenzen für die begehrten Westprodukte immer weiter geöffnet hatte, war innerhalb von drei Jahren zur größten Giftmüllkippe Osteuropas geworden. Großexporteur war Deutschland. Dort hatte im Jahre eins der Wiedervereinigung das Großreinemachen in der Ex-DDR begonnen. Altöle, Lösungsmittel, überalterte Pflanzenschutzmittel, Klär- und Baggerschlamm, Cadmium, Arsen und Dioxin mußten entsorgt werden. Doch warum teures Geld für die Endlagerung in Deutschland bezahlen, wenn der Giftmüll auch billig und noch dazu völlig legal ins Nachbarland verschoben werden konnte?

Das Zauberwort hieß „wiederverwertbar“. Fand sich ein polnischer Unternehmer, der die Fässer mit dem Totenkopf importieren wollte, verwandelte sich der Giftmüll auf dem Papier in ein „Wirtschaftsgut“ und passierte problemlos die Grenze. Die Müllinvasion versetzte Polen einen tiefen Schock. So hatte man sich Marktwirtschaft nicht vorgestellt.

Das im Juli 1989 verhängte Importverbot für alle Arten von Müll griff nicht. Die Zollbeamten waren überlastet und zu wenig erfahren: Ohne chemische Analyse konnten sie „Wirtschaftsgüter“ von Müll nicht unterscheiden. Die deutschen Behörden aber mußten nur für deklarierten Müll eine Ausfuhrgenehmigung erteilen.

Greenpeace trat auf den Plan. In ihrem ersten Müll-Report für Polen listete die Umweltorganisation 72 westeuropäische Unternehmen auf, die von 1989 bis Ende 1990 ihre zum Teil hochgiftigen Abfälle in Polen „entsorgen“ wollten.

Das Müllangebot war gigantisch: Über 22 Millionen Tonnen Altöl, Kabel- und Elektronikschrott, infektiöser Klinikmüll, Gummi- und Lederreste, Batterien, dioxinhaltige Lösungsmittel, alte Farben und Lacke bis hin zu Atommüll sollten in Polen auf die Deponie wandern oder recycelt werden. Ungünstig war natürlich, daß es in Polen fast keine Wiederaufbereitungsanlagen gab.

Doch auch da wußten die cleveren Geschäftsleute Rat. Sie schickten „Umweltberater“ nach Polen, die den finanzschwachen Gemeinden moderne Recycling- technologien anboten. Anstelle der stinkenden Müllkippen, der schäumenden Flüßchen und umgekippten Seen sollten „Entsorgungsparks“ entstehen, Kläranlagen und Recyclingzentren. Oft genug griffen die Regionalfürsten, die „Anschluß an den Westen finden“ wollten, zu den Danaergeschenken: Der Preis für die „kostenlos“ zur Verfügung gestellten Technologien war der Müll, der gleich mit importiert werden mußte. 77.000 Tonnen toxische Abfälle, über die Hälfte davon aus Deutschland, fanden bis Ende 1994 den Weg nach Polen. Wieviel darüber hinaus illegal ins Land kam und auf einer wilden Müllkippe landete, will nicht einmal Wojciech Swiątek schätzen.

Immerhin gelang es der polnischen Umweltschutzpolizei, die auch schon einmal Interpol um Hilfe bittet, Tausende von Tonnen giftigen Abfalls wieder an den Absender zurückzuschicken. „Die Baseler Konvention war unsere Rettung“, sagt Wojciech Swiątek. „Seit Juni 1992 sind wir Mitglied. Keiner der Unterzeichner, das sind immerhin 89 Staaten und die EU als Organisation, darf Giftmüll zu Endlagerung exportieren. Und das letzte Schlupfloch, der Export zu Recyclingzwecken, soll Ende 1997 zugemacht werden. Bis dahin müssen wir durchhalten.“

In dem Büro des Abfallexperten klingelt permanent das Telefon. Es ist auf Mithören eingestellt: „Den Farbenexporteur aus Saalfeld gibt es nicht“, meldet ein Anrufer. Swiątek nickt. „Das habe ich mir schon gedacht. Gut, daß wir das Bundeskriminalamt eingeschaltet haben.“

Drei Minuten später: „Wir haben hier einen Transport mit Betonplatten, angeblich asbestfrei.“ Swiątek preßt den Hörer ans Ohr, schaltet das Telefon leise. „Sichern Sie die Papiere“, ruft er in die Muschel. „Ich schicke Ihnen einen Experten. Rufen Sie zurück, sobald ein Ergebnis vorliegt.“ Swiątek legt auf und stellt fest: „Der Umweltschutz in Deutschland hat unser Land in einen Dreckhaufen verwandelt.“