Ein Inselstreit kommt zur rechten Zeit

Südkorea und Japan streiten um Felsen im japanischen Meer. Zufällig ist Wahlkampf in Seoul  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nachdem man sich jahrelang auf den Austausch von halboffiziellen Bosheiten im ewig währenden Vergangenheitsstreit zwischen beiden Ländern beschränkte, stehen Südkorea und Japan plötzlich vor dem unmittelbaren Konfliktfall: Eine längst vergessen geglaubte Insel im japanischen Meer, deren Hoheitsrechte beide Länder seit Kriegsende reklamieren, sorgt für Aufregung.

Vordergründig streiten sich beide Länder um die Fischereirechte bei der unbewohnten Insel, die die Südkoreaner Tokdo und die Japaner Takeshima nennen. Die Insel, von beiden Ländern etwa gleich weit entfernt, wurde 1849 von einem französischen Schiff entdeckt. Seit 1945 kontrolliert Südkorea die Inseln, während Japan regelmäßig an seine Ansprüche erinnert, die es aus einem 1905 geschlossenen Vertrag zwischen beiden Staaten ableitet. Korea hingegen will dieses Abkommen nicht anerkennen, weil es unter Druck zustandegekommen sei.

Auf der Grundlage der UN- Konvention über das Seerecht wollen beide Seiten nun eine 200-Meilen-Wirtschaftszone rund um das Eiland proklamieren.

Gestern kündigte das südkoreanische Verteidigungsministerium Mänover an, die die südkoreanische Souveränität über die unbewohnte Insel demonstrieren sollen. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg könnte so die südkoreanische Armee – wenn auch mehr symbolisch – gegen Japan auffahren, das von 1910 bis 1945 als Kolonialmacht über Korea herrschte.

Während diese Ankündigen in Seoul von antijapanischen Kundgebungen vor der dortigen japanischen Botschaft begleitet wurden, schwieg das offizielle Tokio dazu. Koichi Kato, Generalsekretär der regierenden Liberaldemokraten, forderte die Führer beider Nationen gestern auf, dringend das direkte Gespräch zu suchen.

Doch damit ist nicht zu rechnen. Denn in Südkorea geht es ganz offensichtlich um die bevorstehenden Parlamentswahlen: Präsident Kim Young Sam hat aufgrund der öffentlichen Kritik an seiner undurchsichtigen Wahlkampffinanzierung beste Chancen, bei den Wahlen im April seine Regierungsmehrheit zu verlieren. Ein Streit mit Japan könnte dem Präsidenten nicht nur breite Unterstützung im Volk sichern, sondern auch von den derzeit die Öffentlichkeit beherrschenden Korruptionsskandalen ablenken.

Wie erfolgreich diese Taktik zu sein verspricht, zeigte sich schon am Wochenende, als die meisten südkoreanischen Zeitungen auf der Titelseite das Photo der Insel zeigten, über der die Landesfahne wehte. Tokio aber hat kaum Chancen, den Streit zu entschärfen: Die sich seit Jahren wiederholenden Äußerungen hochrangiger japanischer Politiker – die im Kern besagen, Japan habe während der Kolonialzeit in Korea nicht nur Schlechtes bewirkt – haben dem Land international inzwischen soviel geschadet, daß der Schwarze Peter im koreanisch-japanischen Verhältnis auf absehbare Zeit in Tokio bleibt.