Lehrjahre des Malens

Stiller Abschied, auch von der Biografie: Das Künstlerhaus Bethanien in Berlin zeigt Arbeiten des im November verstorbenen Malers Ull Hohn  ■ Von Harald Fricke

Für eine Ausstellung Mitte der neunziger Jahre ist das weiße Studio am Kreuzberger Mariannenplatz ungewöhnlich aufgeräumt. Zwei Reihen mit Bildern an den Längswänden, eine kleinformatige graue Straßenszene rechts der Eingangstür, daneben eine bald zwei Meter hohe monochrome Fläche in sämigem Ocker. Keine Installationen, keine Inforeader, kein Kontext. Die Ausstellung mit Arbeiten von Ull Hohn ist eher ein stiller Abschied, der Düsseldorfer Maler ist im November an den Folgen seiner Aids-Erkrankung gestorben.

Eine Retrospektive kann die Ausstellung nicht sein: Mit 35 Jahren hat sich zwar ein reicher Bildfundus an Gemälden, Zeichnungen und Skizzen bei Hohn gesammelt, aber klare Linien, Brüche, Abschnitte oder Historien sind kaum auszumachen. Zuletzt ging alles sehr schnell. Die Einzelschau im Bethanien reagiert darauf, indem sie sich auf Bilder beschränkt, die zwischen 1993 und 1995 entstanden sind. Das macht die Präsentation der Arbeit zwar überschaubar, doch im einzelnen ist sie deshalb nicht unbedingt leichter nachzuvollziehen. Sprunghaft in den Sujets (Ornamente, Stilleben, Farbschichten) und ohne stilistisches Zentrum sind die knapp 20 Ölgemälde dennoch kein Zeugnis für ein ruheloses Sich-treiben-lassen ohne Ziel. Im Gegenteil, Hohn hat einfach sehr entschieden darauf geachtet, daß sich kein Leitbild ergibt.

Ein Künstler ohne klare Position — ungewöhnlich für die neunziger Jahre, in denen der Stellenwert erst mit dem Diskurs wächst. Ein paar Arbeiten mit blaß lila übertünchten Neugeborenen erinnern an die Wischtechnik Gerhard Richters (bei ihm hatte Hohn bis 1986 studiert); andere sind auf Farbe als Material reduziert, die braun auf wulstige Gipsklumpen gemalt wurde oder Schlieren und spitze Lacknasen auf der Leinwand zieht; auf einem wunderbar zerklüftetem Bild hat Hohn teigige Farbe über eine Leinwand mit Art- nouveau-Mustern geknetet; und eine Reihe mit wässrigen Interieurs hat diesen leichten, verführerischen Zug ins Dekorative früher David Hockneys. Dazwischen romantische Turner-Landschaften in schwelendem Gelb. Fast hat man den Eindruck, hier übe jemand an seinen Idolen die Richtung ein, in der er sich später einmal auf dem Markt bewegen soll. Vorstudien, vom akademischen Wettkampf noch unbelastet.

Man könnte es bei dieser sentimentalen Erzählung von den Lehrjahren des Malens belassen, hätte Hohn dabei nicht ein sehr dichtes Konzept verfolgt. Seit 1994, damals wird er von seiner Infektion längst gewußt haben, entstehen Revisionen der bisherigen Arbeit. Akribisch geht er seine Bilder seit der Jugend durch, wählt aus und malt nach. So etwa „Shoe–1977“, das eine Bleistiftzeichnung wiederholt, die Hohn als 17jähriger verfertigt hatte. Es ist eine Neuzeichnung, für die ein Dia des Originals als Vorlage diente. Nichts hat sich an dem Bild verändert, und doch scheint sich in der Reproduktion das ursprüngliche Bild aufzulösen.

Mit seinen 1993 entstandenen „Amateur“-Bildern, einem Glasflakon auf rotem Samt oder einer grünen Vase in Öl, verfährt er ähnlich, eine Antilope auf der Prärie wird getreu einem Anleitungsbuch nachgemalt und zwei Jahre später nur im Ansatz aus Umrißlinien kopiert. Jedes Prinzip erschöpft sich schnell, allerdings spielt bei Hohn die eigene Biographie mit hinein in den Gestaltungsprozeß. So schreibt der US-amerikanische Kritiker Tom Burr im Katalog: „Es ging Ull beispielsweise darum, die generell retrospektive Tendenz bei der Betrachtung und Bestimmung von Kunst, Künstlern und deren Laufbahn zu reflektieren, indem er diese Tendenz vorzeitig einleitete und so der Gesamtwirkung seiner eigenen Arbeit einverleibte.“ Jedes weitere Bild ist bereits archivisch und zugleich eine Aussage über das Archivieren.

Kann die Zuspitzung, irgendwann eine Deckungsgleichheit mit der eigenen Produktion – wenn nicht Stillstand – zu erreichen, als künstlerische Auseinandersetzung genügen? Muß man, wenn alle Bilder schon gemalt sind, wieder von vorne anfangen? Hohn ist die Frage nicht ohne Ironie angegangen: Auffällig, wie sehr die kleinen naturalistischen Landschaften den Aufgaben ähneln, mit denen Gerhard Richter seine Studenten an der Kunstschule beschäftigt hält. Nun hatte Richter, den Manfred Hermes (als Kurator der Ausstellung) im Katalog zitiert, selber gesagt, daß in der Kunst seit Duchamp ausschließlich Ready-mades hergestellt werden, „auch wenn sie selbstgemacht sind“. Diesem Anspruch aber scheinen die Bilder von Hohn mit größerer Konsequenz standzuhalten als die seines Lehrers. Im Nachhinein bekommt man jedoch zu spüren, welche Ausweglosigkeit dieses Unterfangen begleitet: Die Produktion ist am Ende, doch nichts ist passiert. Und in ein paar Wochen hängen neue Bilder im Studio II.

Ull Hohn, bis 25.2. Im Künstlerhaus Bethanien, Berlin. Katalog: 20 DM.