Verwirrspiel um den Bombenstoff

Erst räumt der Geheimdienst die russische Herkunft des Münchner Plutoniums ein, dann dementiert die Atomenergiebehörde in Moskau. Jetzt wollen es die Medien ganz genau wissen  ■ Von Wolfgang Gast

Der Freispruch für den Bundesnachrichtendienst (BND) in der Plutoniumaffäre war ein wenig voreilig. Vollmundig hatte am Montag Regierungssprecher Peter Hausmann die Vorwürfe als „haltlos“ zurückgewiesen, wonach der Pullacher Geheimdienst den Plutoniumschmuggel vom August 1994 selbst inszenierte. Als Beleg führte Haumann ein Rechtshilfeersuchen aus Rußland an, in dem die russische Regierung erstmals die Herkunft der nach München geschmuggelten 363 Gramm Atombombenstoff aus einem russischen Atomkraftwerk eingeräumt habe.

Hausmanns versuchte Entlastung blieb schon im Ansatz stecken: Gestern wies das russische Atomenergieministerium die Bonner Erklärungen zurück. „Wir dementieren weiterhin, daß dieses Plutonium russischer Herkunft ist“, betonte Ministeriumssprecher Georgi Kaurow. Er kritisierte darüber hinaus, daß die Bundesregierung den russischen Behörden bis heute noch keine Probe des Plutoniums zur Analyse zur Verfügung gestellt hat.

Das Münchner Magazin Focus hatte am Montag berichtet, daß der in die Bundesrepublik geschmuggelte Bombenstoff aus dem Atomkraftwerk Obninsk in der Nähe von Moskau stammen soll. Dies hätten Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSK ermittelt. Und der Geheimdienst sei es auch gewesen, der das dreiseitige Rechtshilfeersuchen an das Bonner Justizministerium adressiert habe; in dem Schreiben würden auch die Drahtzieher des Plutoniumsdeals geoutet. Zur Illustration druckte das Magazin ein Ausriß des Schreibens ab.

Aber auch dieser Bericht wird in Moskau dementiert. Sein Haus, erklärte der Sprecher des Atomenergieministeriums weiter, habe mit dem FSK Kontakt aufgenommen. Der Geheimdienst, der für die Untersuchung eines Diebstahls von Nuklearmaterial zuständig wäre, wisse aber nichts von einem Brief an die Bonner Regierung.

Doch das Plutonium stammt trotz des russischen Dementis aus dem Kernforschungszentrum Obninsk. Das meldete gestern die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Aus den der Agentur vorliegenden Unterlagen gehe hervor, daß sich der inzwischen in München mit zwei Komplizen verurteilte kolumbianische Atomdealer Justiniano Torres im Juni 1994 den Moskauer Chemiker Gennadij Nikiforow gebeten hat, ihm Plutonium zu verschaffen. Dieser wandte sich an Penkow, der in Obninsk im Kalugaer Gebiet wohnte. Penkow schaltete über einen gewissen Baranow den Beschäftigten von Obninsk, Asafiew, ein. Asafiew übergab im Juni 1994 über Penkow an Torres etwa zwei Gramm Plutonium zur Qualitätskontrolle. Torres zahlte dafür 2.000 Dollar. Anfang August hat Torres von Asafiew und Baranow die 363 Gramm Plutonium erworben, die in München sichergestellt wurden.

Die russische „Untersuchungsverwaltung“ hat dpa zufolge die deutschen Justizbehörden um Zeugenaussagen von Torres gebeten, etwa zu den Fragen, wann, wo und unter welchen Umständen er die Beschaffer des Plutoniums, die mittlerweile verhaftet sind, kennengelernt hat. Außerdem wolle die russischen Behörde wissen, wie es Torres gelang, den gefährlichen Stoff „über die Zollgrenze Rußlands“ zu schmuggeln.

Für Hermann Bachmaier, SPD- Obmann im Bonner Plutoniumausschuß, hat sich an den Vorwürfen gegen den BND nichts geändert. Der Dienst habe seine Kompetenzen überschritten, den heimlichen Transport des Plutoniums an Bord einer Lufthansa-Maschine geduldet und damit unkalkulierbare Gefahren in Kauf genommen. Der Obmann der CDU/CSU, Andreas Schmidt, hatte dagegen im Anschluß an Hausmanns Regierungserklärung gefordert, die Opposition möge sich beim BND entschuldigen.