Wer gestern 55 Jahre alt war und mit seinem Arbeitgeber die Frühverrentung vereinbart hat, kann sich freuen. Für alle anderen, die vorzeitig mit dem Arbeiten aufhören wollen, gibt es eine neue Regelung: gekürzte Rente ab 60 oder Teilzeitarb

Wer gestern 55 Jahre alt war und mit seinem Arbeitgeber die Frühverrentung vereinbart hat, kann sich freuen. Für alle anderen, die vorzeitig mit dem Arbeiten aufhören wollen, gibt es eine neue Regelung: gekürzte Rente ab 60 oder Teilzeitarbeit. Die Hoffnung: Arbeitsplätze für Jüngere. Der Wermutstropfen: längere Lebensarbeitszeiten, kleinere Renten

Ein bißchen weniger von allem

Mit der Einigung hatte kaum jemand gerechnet. Nur drei Stunden haben Bundesarbeitsminister Nobert Blüm (CDU) und die Tarifpartner gebraucht, um sich in der Kanzlerrunde auf eine Änderung der Frührentenregelung zu einigen. Nun frohlocken alle: die Gewerkschaften, weil sie möglichst viele ihrer Forderungen erfüllt sehen, und die Regierung, weil die Rentenkasse nun wieder aufgepäppelt werden kann.

Möglichst wenig sprechen alle von den Jüngeren, die nun wahrscheinlich mit Rentenkürzungen und längeren Lebensarbeitszeiten rechnen müssen.

Möglich war die schnelle Einigung am Montag abend, weil sich die Beteiligten Ende voriger Woche in geheimgehaltenen Gesprächen in entscheidenden Punkten aneinander angenähert hatten.

Geeinigt haben sich die Teilnehmer der Kanzlerrunde auf folgende Punkte:

Beschäftigte, die schon eine Vereinbarung für Frühverrentung mit ihren Betrieben ausgehandelt haben, genießen Vertrauensschutz, wenn sie 55 Jahre alt sind. In der Stahlbranche bereits ab 52 Jahre.

Ein Teilzeitarbeitsmodell für 55jährige und Ältere soll dafür sorgen, daß mehr junge Leute von den Betrieben eingestellt werden.

Die Altersgrenze für Vollrente soll in drei Stufen von 60 auf 63 Jahre erhöht werden.

Zumindest an einem Punkt können sich die Gewerkschaftsvertreter anerkennend auf die Schultern klopfen. Sie haben den Vertrauensschutz für die rund 600.000 ArbeitnehmerInnen, die jetzt 55 Jahre alt sind, und für Stahlarbeiter ab 52 Jahre durchgesetzt. Blüm hatte ihn nur jenen zugestehen wollen, die schon 57 Jahre alt sind. Der Vertrauensschutz bedeutet: Stahlarbeiter, die jetzt 52 sind, sowie Beschäftigte anderer Branchen, die jetzt 55 Jahre alt und arbeitslos sind oder schon einen Aufhebungsvertrag mit ihrem Betrieb vereinbart haben, kommen noch in den Genuß der alten Regelung: Sie beziehen ab 60 Jahre ein volle Rente, wenn sie mindestens 12 Monate arbeitslos waren.

Eine Übergangsfrist gibt es allerdings nicht. Wer versäumt hat, bis gestern, Dienstag, den 13. Februar, eine solche Vereinbarung mit seinem Betrieb zu treffen, und noch nicht arbeitslos ist, hat das Nachsehen. Für ihn wird der Vorruhestand teurer, denn er muß sich mit der neuen Regelung begnügen. Die sieht einen monatlichen Rentenabschlag von 0,3 Prozent (im ungünstigsten Fall insgesamt fast 11 Prozent) für diejenigen vor, die in Frührente gehen wollen.

Der Stichtag für die Neuregelung ist heute. Darauf wies der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gestern explizit hin. Bundesarbeitsminister Blüm hingegen begnügte sich mit der Floskel, daß das Bundeskabinett den Stichtag festlegen werde. Die Regierung wird aber heute die Eckwerte eines „Gesetzes zur Förderung der Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer und zur Korrektur der Frühverrentungspraxis“ beschließen.

55 ist auch das entscheidende Alter für all jene, die noch nicht ganz aus dem Erwerbsleben gehen, aber gern weniger arbeiten wollen. Sie können nach der Einigung dann auf Altersteilzeitarbeit umsteigen, wobei ihnen 70 Prozent des alten Vollzeitnettolohns als Einkommen garantiert sind. Von ihrem Betrieb erhalten sie 50 Prozent des letzten Bruttolohns. Und die Arbeitsämter erhöhen diesen Betrag – steuer- und abgabenfrei – um 20 Prozent des Teilzeitarbeitslohns, wenn der Betrieb auf der freigewordenen Stelle eine neue Kraft einsetzt. Wer so wenig verdient, daß er damit die festgelegten 70 Prozent des Vollzeitnettolohns nicht erreicht, erhält eine höhere Aufstockung vom Arbeitsamt. Die Beiträge zur Rentenversicherung für den Teilzeitarbeiter werden vom Arbeitsamt auf 90 Prozent des Vollzeitbeitrags aufgestockt.

Da die Einkommensverluste für die Betroffenen beträchtlich sein können, ist es nun Sache von Gewerkschaften und Arbeitgebern, in tarifrechtlichen und betriebsrechtlichen Vereinbarungen dafür zu sorgen, daß zum Beispiel ein Metallarbeiter mit einem durchschnittlichen Bruttolohn von 3.500 Mark auch als Teilzeitarbeiter im Alter noch ein ausreichendes Einkommen hat. Die Gewerkschaften geben sich hier optimistich, daß die Betriebe dazu bereit sind. Schließlich hätten die ja auch ein Interesse daran, jüngere Leute einzustellen.

Ausgemachtes Ziel des Modells ist es schließlich, daß ergänzend zu den Teilzeitkräften Arbeitslose oder Auszubildende eingestellt werden. Dennoch, so räumt die IG Metall ein, sei ein beträchtliches Maß an „sozialer Phantasie“ nötig, um das Altersteilzeitmodell erfolgreich umzusetzen. Denn nur wenn von den Betrieben genügend Teilzeitarbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, können Jüngere Arbeit finden.

Dritter Punkt der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Tarifpartner ist, daß sich die Altersgrenze für Rente nach der Arbeitslosigkeit von 1997 an von jetzt noch geltenden 60 Jahren in drei Jahresstufen auf 63 Jahre erhöhen wird. Wer früher in Rente gehen will, muß mit einem jährlichen Abschlag von 3,6 Prozent rechnen. Das heißt konkret, wer 1998 mit 60 Jahren in Rente gehen will, kann dies zwar tun, muß sich aber mit 7,2 Prozent weniger Einkommen begnügen.

Die Gewinner dieser Vereinbarung sind ganz klar all jene, die jetzt 55 Jahre alt sind. Für alle, die jünger sind, bedeuten die Pläne reale Renteneinbußen. Das, was Arbeitsminister Blüm als „offensive Lösung“ bezeichnet, die einen gleitenden Übergang in den Ruhestand mit der Sicherung der Rentenkassen koppele, kommt nachfolgende Generationen teuer zu stehen. Zukünfig wird es sich kaum noch jemand leisten können, früher als gesetzlich vorgeschrieben in Rente zu gehen. Die Abschläge für die Altersversorgung werden einfach zu hoch sein. Karin Nink