Volle chorale Dröhnung

■ Experimenteller Kreuzzug in St. Katharinen: „Crusade“ bringt Gregorianik unters Jungvolk und Techno unters Kirchenvolk Von Nele-M. Brüdgam

Es begann Mitte der siebziger Jahre mit Kraftwerk. Heute ist elektronisch-experimentelle Tanzmusik das musikalische Exportprodukt der Deutschen schlechthin – die DJs ziehen mit Techno durch die Welt. Bei dem Wort „ziehen“ fällt Bernd Cunze, Betreiber der Diskothek Unit, spontan was ein: Genau 900 Jahre liege der erste Kreuzzug nach Palästina nun zurück. „Damals sind die Christen ausgezogen, jetzt zieht die Jugend in die Kirche“, sagt er und meint damit die Crusade. Allerdings, korrigiert Cunze nach kurzem Nachdenken sein Wackelbild, seien die mittelalterlichen Kreuzzüge „furchtbar grausam“ gewesen, die Crusade hingegen „verbreitet Fröhlichkeit und Frieden“.

Die Ursprünge der mega-multimedialen Techno-Gregorianik-Veranstaltung, die morgen in Hamburg stattfindet, waren praktischer Natur: Weil die Kirchentagsveranstalter im vergangenen Jahr auch Raver erwarteten, schlugen sie Cunze vor, gemeinsam was zu unternehmen. Im Unit fand daraufhin ein Techno- und Gregorianik-Event mit der Lübecker Choralschola St. Nicolai statt. Alle waren begeistert, besonders Chorleiter Bertold Höcker. In einem kirchlichen Magazin schrieb er: „Versucht der Gregorianische Choral die Voraussetzung für Gottesbegegnung durch Meditation und Ruhe zu erreichen (...), beabsichtigt Techno ekstatische Verschmelzungserlebnisse, die – wie der Choral – auf die 'unio mystica', den Höhepunkt der Versenkung, zielen.“

Um solche Erlebnisse am Freitag rund 2000 BesucherInnen zu ermöglichen, holen Unit und Nordelbische Kirche Größen der Techno-Szene – von DJs über Komponisten bis zum Ballett – sowie die Choralschola in die Kirche St. Katharinen. Nicht dabei sein wird Maria Jepsen, die Bischöfin ist gerade im Urlaub. In einem Internet-„Gespräch“ hoffte sie: „Der Kirchenraum wird die Crusade-Nacht prägen. Geistliches kommt so zur Sprache, Schwellenangst kann abgebaut werden.“

Initiator Pastor Stefan Wolfschütz (43), der die Veranstaltung für die Nordelbische Kirche organisiert, geht noch einen Schritt weiter. Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und Techno-Kultur entdeckte der Kirchenmann, der der taz die Crusade-Idee erläuterte.

taz: Die Techno-Szene erwartet von Crusade vor allem ein musikalisches Ereignis. Wie gehen Sie als Pastor damit um?

Stefan Wolfschütz: Ich denke, daß die Kirche ein Ort ist, an dem das wirkliche Leben stattfinden soll. Techno drückt ein besonderes Lebensgefühl aus, für das es bisher bei uns keinen Raum gibt. Nun wollen wir die Kirche dafür öffnen.

Es gibt doch auch andere Szenen, die in der Kirche nicht vertreten sind. Warum gerade Techno?

Es geht hier nicht um irgendeine Szene, sondern darum, aktuelle Kultur und Kirche zu verbinden. In der Techno-Kultur entdecke ich viele Gemeinsamkeiten mit Kirche. Man spricht von der „Techno-Gemeinde“, und Techno ist wie Gottesdienste nur durch den Vollzug erlebbar: Man muß dabeisein!

Auch die Jesus Freaks verbinden Party und Christentum. Wollen Sie denen jetzt das Wasser abgraben?

Was die Jesus Freaks angeht, herrscht bei mir Unverständnis. Ich glaube, das Verhältnis zwischen den Jesus Freaks und der Techno-Gemeinde ist wie das zwischen einer Sekte und der Landeskirche. Techno ist viel ehrlicher und normaler. Die Freak-Bewegung hingegen ist sehr diffus – insbesondere in ihren religiösen Zielsetzungen.

Mußten Sie für Crusade gegen Widerstände kämpfen?

Das war wesentlich weniger schlimm, als ich erwartet hatte. Auch konservative Kirchenvorstände nahmen den Vorschlag positiv auf. So richtig kann ich mir das nicht erklären, aber natürlich freut es mich sehr. Die haben wohl auch gemerkt: Da tut sich etwas Besonderes!

Mögen Sie Techno?

Ich habe mich damit sehr beschäftigt, und ich schätze die Musik durchaus. Vor allem, weil sie ein Gemeinschaftsgefühl fördert und Zugang zu bestimmenden Lebensgefühlen unserer Zeit ermöglicht.

Gehen Sie in Techno-Discos?

Ja, das habe ich in letzter Zeit intensiv gemacht.

Programm : ab 20 Uhr Sven Dohse, Star Sound Orchestra, Choralschola, Cosmic Baby, Pyro Space Ballett (Live-Acts); ab 24 Uhr Tanz mit Gerret Frerichs, Sven Väth, Joel Mull; 6 Uhr: Gregorianik, dann Party im Unit.

Der Eintritt kostet an der Abendkasse 60 Mark – reine Unkostendeckung, wie die Veranstalter versichern.