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Zu Spaß und Tiefsinn verurteilt

■ Jurek Becker las im Literaturhaus für Kenner und Neulinge

Ein „Techtelmechtel“ nennt Theo Schäfer vom Bertelsmann-Club das, was sein Unternehmen mit dem Suhrkamp-Verlag anstellt: Die Verlagshäuser geben jetzt gemeinsam Anthologien heraus; die erste, Etwas das zählt – Deutschsprachige Literatur der achtziger Jahre, ist bereits erschienen.

Über so ein Projekt ließe sich ausgiebig diskutieren. Zweifelsohne ist jedoch erfreulich, daß aufgrund der Aktivitäten auch Lesungen im Hamburger Literaturhaus vom Medien-Giganten unterstützt werden. So konnte Jurek Becker am Mittwoch abend dort unter anderem auch deshalb vor Massen von Literatur-Interessierten lesen, weil er eben in dem Suhrkamp-Bertelsmann-Flirt-Buch vertreten ist.

Schöne Widersprüche waren es, die im Literaturhaus ausgelebt wurden: Der Bertelsmann-Mann sprach davon, daß auch gemeine Club-Mitglieder höhere Künste erleben sollten. Ursula Keller vom Literaturhaus und der Suhrkamp-Lektor Christian Döring präsentierten ihrem mutmaßlich gebildeten Publikum hingegen einen Jurek Becker, dessen „Biographie uns allen bekannt“ sei und dessen Bücher „wir alle gelesen“ hätten.

Welche Bildung die Besucher tatsächlich mitbrachten, ob sie nun alle alles von Becker gelesen haben oder ihn doch eher als Autor der Liebling, Kreuzberg-Drehbücher kennen – diese Frage erübrigt sich zum Glück aufgrund der Art, wie der Schriftsteller auftrat. Fröhlich zeigte sich Jurek Becker, gemütlich und selbstironisch: „Gern hätte ich etwas aus den Wunderwerken der Literatur ausgewählt, aber ich bin nunmal dazu verurteilt, eigene Werke zu lesen.“

So las er die „Poetik-Vorlesung“ Vom Bleiberecht der Bücher, eine spaßig-tiefgründige Reflexion über den Gegenwartswert der Literatur und über die Lust, zu widersprechen. Und er las Die beliebteste Familiengeschichte, wobei nachträglich auffiel, daß die Erzählungen bei der Aufzählung der „Werke, die wir alle kennen“, vergessen worden waren. Becker kann sich derart ehrlich über eigene Texte beölen, er kann so vielschichtig schreiben, daß alle, alle großen Spaß mit ihm hatten und eine große Menge Nachdenk-Stoff mit nach Hause nahmen. Nele-Marie Brüdgam

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