Freie Fahrt vors Gericht

■ Bausenator vor juristischem Waterloo? / Beiräte wollen klagen / Klares Behördenvotum gegen Schulte

Der Streit um die Verkehrsberuhigung im Viertel wird möglicherweise bald die Gerichte beschäftigen. Am Dienstag abend haben die Beiräte Mitte und Östliche Vorstadt getagt, Bausenator Bernd Schulte war geladen, und der bekräftigte noch einmal seinen Entschluß, daß ab Ende der Woche die Autos wieder fahren dürfen – doch vieles deutet darauf hin, daß er damit ein juristisches Waterloo erleben wird. Die Beiräte hatten die Rechtslage klären lassen. Fazit: Der Senator darf gar nicht so schlankweg selbst entscheiden, ohne die Zustimmung der Beiräte geht nichts. Und dementsprechend haben die auch erstmal Akteneinsicht gefordert, ehe sie ihr Votum abgeben, mit den Stimmen von Grünen, SPD, PDS und „Wir im Viertel“ und gegen den geharnischten Protest der CDU. Dabei könnte der Blick in die Akten des interessante Informationen zutage fördern. Eine kleine Rundfrage bei einigen Behörden ergab: Keine einzige derjenigen, die der Bausenator um Stellungnahme gebeten hat, hat sich in der Frage der Rücknahme auf Schultes Seite gestellt.

Es war eine denkwürdige Szene, die sich im proppevollen Bürgerhaus abspielte: Ein leibhaftiger Bremer Senator wechselte seine Gesichtsfarbe ins Bläßliche, und der Justiziar an seiner Seite begann, trocken zu schlucken. Dabei war Bernd Schulte gekommen, Stärke zu demonstrieren. Die Pose hatte allerdings schon früh am Abend Schaden genommen – schließlich war der Senator mit leeren Händen erschienen. Harte Daten für seine Entscheidung hatte Schulte nicht parat. Er habe „den Eindruck gehabt, daß Existenzen gefährdet sind“, meinte er. „Ich mache keinen Rückgriff auf irgendwelche Zahlen“. Hämisches Gejohle bei gut der Hälfte des Publikums. Dann kam der große Auftritt des Bremer Anwalts Waldemar Klischies. Der war von den BeiratssprecherInnen zur Klärung der Rechtslage beauftragt worden. Die fiel einigermaßen deutlich aus – gegen Schulte.

Laut Beirätegesetz hätten die Stadtteilparlamente das Letztentscheidungsrecht über alle verkehrslenkenden Maßnahmen, die den Stadtteil betreffen. Weil es über diese Kompetenzen permanenten Streit gegeben hatte, hatten sich Ende 1994 Bausenator, Innensenator und Gesamtbeirat auf eine Liste von Straßen mit überörtlicher Bedeutung geeinigt, bei denen der Bausenator das letzte Wort hat. In diesem „Vorhaltenetz“ aber, breitete Klischies aus, ist der Ostertorsteinweg gar nicht drin (ein „Übertragungsfehler“, meinte bau-Justiziar Peter Noltenius – Gelächter im Publikum). Ergo: Da hat der Senator ohne den Beirat nichts zu melden. Und zweitens hat der Beirat, ehe er eine Stellungnahme abgibt, das Recht auf Akteneinsicht. Doch die habe es nicht gegeben.

Nichtsdestotrotz: Schulte blieb bei seiner Position. Heute tagt die Baudeputation, die soll die Rücknahme abnicken. Die Deputierten der SPD wollen zu Protokoll geben, daß zuerst die Beiräte ordentlich beteiligt werden müssen, doch das wäre kein Stolperstein. Ohnehin ist Absprache in der Großen Koalition, daß SPD und CDU gemeinsam abstimmen. So wird also alles darauf hinauslaufen, daß die Autos wieder fahern und die Beiräte die Gerichte bemühen. Trotzdem haben die ViertelpolitikerInnen noch einmal einen Anlauf zum Dialog gemacht. Zwei EmissärInnen wurden bestimmt, die nun mit Schulte über einen Kompromiß verhandeln sollen.

Neues Futter könnte die Debatte aus einigen bremischen Behörden bekommen. Ausnahmslos alle, die Schulte vor seiner Entscheidung um fachlichen Rat angegangen war, haben gegen die geplante Rücknahme mit Einführung eines Abbiegegebots an der Sielwallkreuzung votiert, vom Polizeipräsidium bis zur Bremer Straßenbahn AG. Eine Kostprobe vom Amt für Straßen- und Brückenbau: „Die Wiederzulassung des KFZ-Verkehrs (...) kann fachlich nicht begründet werden. (...) Der erhebliche Einsatz von finanziellen Mitteln zur Gestaltung einer fußgängerzonenähnlichen Fläche ist nicht zu rechtfertigen, wenn anschließend der KFZ-Verkehr ohne Abwägungsprozeß wieder zugelassen wird.“ Noch nicht einmal im Haus des Bausenators selbst stehen die BeamtInnen dem Senator zur Seite. Das beweist ein interner Vermerk: „Die Aufhebung der Teilentwidmung kann lediglich mit den wirtschaftlichen Nachteilen anliegender Geschäfte begründet werden. (...) Dieser Nachweis ist von uns nicht zu erbringen.“ J.G.