■ Vorlesungskritik
: Macht und Ohnmacht in der Politik

Die Politologen der Freien Universität (FU) haben dazugelernt. Als sie vor reichlich einem Jahr Hans-Dietrich Genscher zum Honorarprofessor ernannten, bereitete ihnen der Nachweis einige Mühe, worin denn die „wissenschaftlichen Leistungen“ des Ex-Außenministers eigentlich bestehen sollten. Bevor Herta Däubler-Gmelin dagegen am Dienstag ihre Antrittsvorlesung als Ehrenprofessorin halten konnte, hatte eine Berufungskommission ihre rechtswissenschaftlichen Publikationen von prominenten Juristen begutachten lassen.

Auch in den äußeren Formen ihrer Selbstdarstellung beweist die FU, in diesen Dingen ohnehin schon routinierter als die Konkurrenz, noch Lernfähigkeit. Der Hörsaal war stilvoll mit Blumenschmuck ausgestattet, ein Effekt, den ein wenig Kammermusik noch verstärkte. Sogar an einen Wachschutz hatten die Organisatoren gedacht, der sorgfältig jeden Rucksack inspizierte. Schließlich war einige SPD-Prominenz im Hörsaal versammelt, allen voran Hans-Jochen Vogel und Wolfgang Thierse.

Zudem verlas FU-Präsident Johann W. Gerlach ein Glückwunschtelegramm von Johannes Rau. Für die zahlreichen Urkunden und Geschenke genügten Gerlachs zwei Arme allerdings nicht, so daß ein Teil davon den Umweg über den Fußboden machen mußte, um in die Hände der Geehrten zu gelangen. Große Worte wie gewohnt nicht scheuend, lobte Gerlach die zunehmende Neigung der Universität, „Theorie und Praxis, Wissenschaft und Welt zu verbinden“. Die beiden OSI-Professoren Ralf Rytlewski und Hans-Joachim Mengel versuchten dagegen, ihre mindere Redegewandtheit durch exzessiven Zeitverbrauch auszugleichen.

Das Publikum war daher bereits einigermaßen ermüdet, als Däubler-Gmelin nach rund einer Stunde ihre Antrittsvorlesung über „Macht und Ohnmacht in der Politik“ beginnen konnte. Deshalb verübelte es ihr niemand, daß sie weder Neues noch Tiefschürfendes von sich gab. Statt dessen schwäbelte sie sich an der Oberfläche durch die Ohnmachtserfahrungen, die auch einer Politikerin im Laufe ihres Berufslebens nicht erspart bleiben. Besonders nahe ging ihr die Begegnung mit dem Präsidenten des obersten chilenischen Gerichts zu Zeiten der Pinochet-Diktatur: „I sag' Ihnen, da wird's einem ganz anders.“

Besonders ohnmächtig fühlt sie sich offenkundig den Journalisten gegenüber, die behauptet hätten, sie flüchte aus dem harten politischen Geschäft in die harmonische Welt der Wissenschaft. Auch für die „Politikverdrossenheit“ macht sie den „Informationsschrott“ der Medien verantwortlich, doch sieht sie darin immerhin auch „Anzeichen für Partizipationsdefizite“. Eine Gefahr für die Demokratie erblickt sie auch in der zunehmenden Zahl von Entscheidungen, die später nicht mehr korrigierbar sind. Statt „sogenannter Hearings, bei denen man nicht zuhört“ wünscht sie sich „eine rationale, offene Folgenabschätzung“. Als dritten Ohnmachtsbereich führte sie die Globalisierung der Weltwirtschaft an.

Die Lehre, daß man trotz aller Ohnmacht auch mit Macht etwas tun könne, zog Däubler-Gmelin aus ihrer eigenen Studienzeit an der FU. Dort verwaltete sie in den sechziger Jahren als Asta-Sozialreferentin Mensa, Wohnheime und Stipendien. Obwohl von Haus aus Juristin, fand sie schon damals die OSI-Professoren „ungleich viel eindrucksvoller“. Daß ihr Richard Löwenthal bei einem Sit-in vor dem Akademischen Senat 1965 eine Ohrfeige verpaßte, erhöhte den Respekt noch: „Es war schon auch interessant.“ Ralph Bollmann