Die besten Jahre unseres Lebens

Die beiden Retrospektiven der Berlinale widmen sich den Filmen von William Wyler, Hollywoods Oscar-König und peniblem Handwerker, und Elia Kazan, der Marlon Brandos Schauspielstil für den Mainstream tauglich machte  ■ Von Lars Penning

Ein glühender Julitag. Italiens Sonne brannte auf die zwei Männer mit flammender Gewalt herab. Sie standen im Atrium einer kostbaren römischen Villa und sprachen miteinander, leise am Anfang, dann mit erhobener Stimme in einem schrillen Crescendo. Der harte Dialog bricht ab, und ein kleiner untersetzter Mann, der mit höchster Aufmerksamkeit gelauscht hatte, sagte: ,Bitte noch einmal‘.“ (aus einer Werbeveröffentlichung der MGM zu „Ben Hur“, 1959) Der kleine, untersetzte Mann, der Charlton Heston und Stephen Boyd bei den Dreharbeiten zu „Ben Hur“ um die zwanzigste Wiederholung der Szene 65a bat, war wohl der angesehenste amerikanische Filmregisseur seiner Zeit – William Wyler. Sein „Noch einmal“ gehörte in Hollywood bereits zur Legende und war bei den Darstellern ebenso berühmt wie gefürchtet. Trotzdem rissen sich die meisten Schauspieler geradezu darum, in einem Wyler-Film mitzuwirken: Neben der persönlichen Befriedigung, auf der Leinwand später die bestmögliche eigene Leistung wiederzuentdecken, brachte die Arbeit mit Wyler auch ein Höchstmaß an Prestige mit sich. Unter der Anleitung keines anderen Regisseurs haben so viele Darsteller den Academy Award gewonnen oder wurden zumindest nominiert. Auch Wyler selbst gewann dreimal den Regie-Oscar – Nominierungen bekam er im Laufe seiner Karriere fast ein Dutzend.

Er galt als „klassischer“ Regisseur, als penibler Handwerker, der von den Studios gern mit der Herstellung von Prestigefilmen, jenseits der seichten Unterhaltung, beauftragt wurde. In den Glanzzeiten der Autorentheoretiker verblaßte sein Ruhm allmählich: Zu kunstgewerblich und zu unpersönlich erschienen nun einigen Kritikern Wylers Literatur- und Theaterverfilmungen, zu prätentiös „die psychologischen Geschichten mit sozialem Hintergrund“, die Andre Bazin in einem Essay von 1948 als Wylers bevorzugte Stoffe zu erkennen glaubte. So ist William Wyler heute aus dem kollektiven Gedächtnis einer breiteren Öffentlichkeit von Namen wie Hitchcock, Wilder oder Ford verdrängt worden – ein Mißstand, dem die diesjährige Retrospektive der Berlinale, mit der die Stiftung Deutsche Kinemathek ihre Reihe mit Filmen deutschsprachiger Emigranten fortsetzt, vielleicht abhelfen kann. Wyler selbst hat nie den Anspruch auf einen Platz im Pantheon des Autorenkinos erhoben: „Ich kann von mit nicht behaupten, ein auteur zu sein, obwohl ich einer der wenigen amerikanischen Regisseure bin, die das Wort wenigstens richtig aussprechen können“, pflegte der in Mulhouse im Elsaß geborene Regisseur zu scherzen.

Ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten kommt Wyler 1920 durch Carl Laemmle, einen Cousin seiner Mutter Melanie. Laemmle, der Gründer der Universal-Filmstudios, war dafür bekannt, der Verwandtschaft Posten in seiner Firma zu verschaffen. („Uncle Carl Laemmle has a very large faemmle“, lautete ein damals in Hoolywood kursierender Spruch) und stellt den jungen Willy als Büroboten in Universals New Yorker Dependance an. Wenig später arbeitet Wyler bereits in der Werbeabteilung, wo er Texte für ausländische Publikationen ins Französische übersetzt. Ein Jahr später geht er nach Hollywood. Dort muß er erneut als „office boy“ anfangen, arbeitet sich jedoch Stück für Stück in der Hierarchie nach oben – vom Assistent des Assistenten zum Regisseur. 1925 darf er seinen ersten eigenen Film inszenieren, einen two-reel Western der „Mustang-Reihe“ namens „Crooke Buster“. Mit „Lazy Lightning“, einem Film der „Blue Streak Western Serie“, dreht er 1926 seinen ersten Fünfakter für Universal. Für diese Serienwestern galten standardisierte dramaturgische Grundmuster; alles drehte sich um rasante Ritte, ausgiebige Prügeleien und den obligatorischen Gut- Böse-Konflikt. Dazu bemerkte Wyler später: „Das war alles nur Routine, doch mal lernte dabei den Umgang mit der Bewegung. Alles war Action.“ Gelegentlich kommt auch ein gehöriger Schuß Ironie dazu – zum Beispiel in „Thunder Riders“, wo die wilden Zeiten des Westens längst vorüber sind, wie die Autos, die den Weg der Postkutsche kreuzen, dem Zuschauer schnell klarmachen. So werden der Indianerüberfall auf die Kutsche oder das „tödliche“ Duell zweier Cowboys nur als „Show“ für eine reiche Erbin aus Boston inszeniert. Daß Wyler jedoch auch in diesen Filmen bereits eine große Sensibilität für seine Schauspieler aufbringen kann, bezeugt Fay Wray, die Hauptdarstellerin von „Lazy Lightning“: „Es war eine dramatische kleine Story, in der ich auf einen kleinen sterbenden Jungen aufpassen mußte. Willy wollte, daß ich anfing zu weinen, während ich bei Kerzenlicht am Bett saß. Von der anderen Seite des Bettes, neben der Kamera sitzend, sprach Willy leise und intensiv mit mir. Ich bin mir nicht sicher, ob die Tränen so reichlich flossen, wie Willy es sich wünschte, aber die Situation hatte eine Qualität, die mich verstehen ließ, warum er später einer der Großen wurde.“ Der Durchbruch gelingt Wyler 1929 wiederum mit einem Western: „Hell's Heroes“ ist die erste „all-talking outdoor“ Produktion der Universal – der Film entwickelte sich zu einem derartig großen Erfolg, daß Wyler sogar zu einer Promotion- Tour nach Europa geschickt wird. In den folgenden jahren etablierte er sich mehr und mehr in Hollywood, unter anderem mit der Verfilmung des Broadway-Hits „Counsellor-at-law“. In seinem in der aufwendigen Publikation zur Retrospektive erschienenen Essay über Wylers Filme merkt Norbert Grob an, daß Wyler, der im Serienkino unter dem „Diktat von Action und Bewegung“ aufgewachsen war, seine ersten wichtigen Filme erstaunlicherweise ruhig und bewegungsarm inszeniert, und ein geradezu „europäisches Verständnis von Film, orientiert an Literatur und Theater, an Architektur und Malerei“ an den Tag legt. 1935 unterschreibt Wyler einen Vertrag mit Samuel Goldwyn, der ihm ausgezeichnete Konditionen bietet. Für Wyler beginnt die erfolgreichste Phase seiner Karriere, die „klassische“ Zeit der dreißiger und vierziger Jahre, in der er gemeinsam mit seinem Kameramann Gregg Toland in Filmen wie „The Little Foxes“ oder „The Best Years of our Lives“ seine berühmten räumlichen Inszenierungen mit besonders tiefenscharfer Fotografie entwickelt. Nachdem Wyler in den Jahren 1938-41 unter anderem drei Filme mit Bette Davis gedreht hat, die zum Triumph ihrer Schauspielkunst und seiner Schauspielerführung werden, bekommt er 1943 für „Mrs. Miniver“, einen Film, der vom Leben einer britischen Familie im Bombenkrieg gegen Deutschland erzählt, seinen ersten Oscar als Regisseur zugesprochen. Die amerikanische Produktion zeigt die Engländer, deren Image durch den Verlust der Festung Dünkirchen in den USA auf einem Tiefpunkt angelangt ist, in einem positiven Licht und erweist sich als einer der wichtigsten Beiträge zur Kriegspropaganda.

Nach dem Krieg ist dem Film vor allem von britischer Seite vorgeworfen worden, er zeichne ein völlig unrealistisches, verkitschtes Bild vom Leben einer englischen Dorfgemeinschaft. Aus heutiger Sicht erweist sich der Film als Melodram in Hollywoods schönstem Stil – eine subtile Dosis Propaganda in Glitzerverpackung. Den liebenswerten, heiteren Ton des Anfangs langsam zurücknehmend, macht uns die Inszenierung immer stärker mit dem Gedanken vertraut, der in einer Fliegerstaffel kämpfende Sohn der Minivers werden den Krieg wohl kaum überleben. Um so schockierender erscheint schließlich der überraschende Tod seiner jungen Frau durch die Kugeln eines Tieffliegers. Ebenso effektiv gestaltet Wyler den abschließenden Gottesdienst: Erst ganz zum Schluß öffnet sich der Bildraum, und die Kamera gibt preis, daß Predigt und Gebet in einer Ruine stattfinden – Zeugnis eines ungebrochenen Willens der Bewohner, der Tyrannei zu trotzen. „Mrs. Miniver“ stellt gemeinsam mit dem stilistisch völlig andersartigen „The Best Years of our Lives“, einem Drama über die Schwierigkeiten einiger Soldaten, sich nach Kriegsende wieder zurechtzufinden, das wohl beste Beispiel für Wylers Art dar, auf unterhaltsame Art „Botschaften“ in seinen Filmen unterzubringen. „Wichtig ist: Das Publikum will nicht belehrt werden. Es will unterhalten werden. Das heißt, wenn man etwas zu sagen hat, muß man versuchen, einen erfolgreichen Film zu machen, damit es auch viele Leute erreicht“, lautete Wylers Maxime.

Nachdem Wyler für „The Best Years of our Lives“ erneut mit dem Academy Award ausgezeichnet wird, trennt er sich vom Goldwyn-Studio, um in Zukunft größere Kontrolle über seine Produktionen zu erlangen. Nach einem gescheiterten Versuch, gemeinsam mit Frank Capra und George Stevens eine eigene Produktionsfirma zu gründen, dreht er seine nächsten Filme für Paramount. „The Heiress“, „Carrie“ und „Detective Story“ sind jedoch nicht die von Wyler erhofften erfolge, und erst 1953 entsteht mit „Roman Holiday“, einer für Wyler eher ungewöhnlichen Produktion, wieder ein Kassenknüller. Zum ersten Mal seit seinen Stummfilmtagen wagt sich Wyler an eine romantische Komödie. In England hatte er Audrey Hepburn entdeckt, die in ihrer ersten Hauptrolle eine Kostprobe ihres geradezu entwaffneden Charmes gibt: Wie sie als an steife Protokolle gewöhnte Prinzessin die Schönheiten Roms entdeckt, zum ersten Mal Eis lutscht, zum Friseur geht oder Motorroller fährt und sich dabei auch zum ersten Mal verliebt, ist längst zu einer Legende der Filmgeschichte geworden und wurde mit einem Oscar für die Hepburn belohnt.

Bis zu seinem Rückzug aus dem Filmgeschäft im Jahr 1970 arbeitet Wyler noch zwei weitere Male mit Audrey Hepburn (in „The Children's Hour“ und der charmanten Gaunerkömodie „How to Steal a Million“). Ferner dreht er mit „Friendly Persuasion“ seinen ersten Farbfilm und inszeniert sowohl eine der Oscar-trächtigsten Superproduktionen der fünfziger Jahre („Ben Hur“) als auch einen bizarren Zwei-Personen Psychothriller („The Collector“).

Die Vielschichtigkeit von Wylers disperatem Werk ist auch das Thema des Essays von Norbert Grob. „Stoffe, Themen, Stile“ steht programmatisch bereits in der Überschrift, und die Verwendung des Plurals macht sogleich deutlich, daß das Phänomen Wyler nicht unter wenigen Stichworten zu subsummieren ist. So wird Grobs Text zu einer interessanten chronologischen Reise durch das Schaffen des Regisseurs, gelegentlich unterbrochen durch Exkurse, die zum Beispiel die Bedeutung von Mimik und Gestik in Wylers Filmen erläutern, oder – weniger gelungen, weil zu sehr zur anekdotischen Zitatensammlung geraten – die Beziehung von Wyler zu seinen Stars untersucht.

Im Gegensatz zu Wyler, der alle Aspekte des Filmemachens von der Pike auf erlernte und sich in der Industrie langsam nach oben arbeitete, wurde Elia Kazan, dem bei der Berlinale die zweite filmhistorische Retrospektive gewidmet ist, als Regie-Anfänger mitten ins kalte Wasser einer Hollywood- Großproduktion geworfen. Das Renommee, das Kazan sich als Theaterregisseur in Inszenierungen von Stücken Thornton Wilders, Tennessee Williams' oder Arthur Millers erworben hatte, veranlaßt die 20th Century Fox im Jahre 1945 ihn als Regisseur des Films „A Tree Grows in Brooklyn“ – einer in einem New Yorker Slum spielenden melodramatischen Familien- und Nachbarschaftsgeschichte, zu verpflichten. Da er nach eigener Aussage von der kinematographischen Technik keine Ahnung hat, inszeniert er

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den ausschließlich im Studio hergestellten Film wie ein Bühnenstück und verläßt sich ansonsten auf seinen wichigsten Mitarbeiter, Leon Shamroy, den Starkameramann der Fox.

Mit seinem übernächsten Film „Boomerang“, der von einem korrupten Politiker handelt, verläßt Kazan jedoch die Studiobauten und dreht in dokumentarischem Stil an Originalschauplätzen. „Boomerang“ begründet eine Reihe von politisch und sozial engagierten Produktionen Kazans: „Gentleman's Agreement“ prangert latenten Antisemitismus an, und „Pinky“ ist eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus in den Südstaaten. Die Glaubwürdigkeit der sozialen Themen wird in diesen wiederum vollständig im Studio gedrehten Filmen hedoch durch einen seltsamen Glamour konterkariert. Klaus Kreimeier, der im Buch zur Retrospektive den Hauptessay über Kazans Werk geschrieben hat, findet eine schöne Formulierung für diesen Gegensatz: „,Gentleman's Agreement‘ und ,Pinky‘ sind Thesenfilme, und Zanuck (der Produktionschef der Fox) sorgt mit liebevoller, von ihm als kollegial verstandener Aufmerksamkeit dafür, daß die Thesen, für die Kazan einsteht, einen großen Etat, eine schöne Ausstattung, Protagonisten mit angenehmen Gesichtern und jenen modischen Schick erhalten, der die potentielle Brisanz, die in den Thesen steckt, konsumierbar macht.“

Mit „Panic in the Streets“ (1950) nimmt Kazan die realistischen Tendenzen von „Boomerang“ wieder auf und filmt im Hafenviertel von New Orleans. Ähnlich wie Wyler liebt es auch Kazan, verschiedene Handlungen räumlich in die Tiefe zu staffeln. In „Panic in the Streets“ benutzt er diese Inszenierungsstrategie, um beispielsweise den Eindruck einer unbehaglichen Alltäglichkeit zu schaffen – in einer Welt, die schon bald wieder aus den Fugen geraten wird: So sehen wir im Vordergrund des Bildes einen Polizeiarzt, der einen Toten sezieren will; im angrenzenden Raum ist eine Frau zu sehen und zu hören, die einen anderen Verstorbenen identifiziert – Business as usual. Kurz darauf wird Richard Widmark den Telefonanruf seines Arzt-Kollegen im Hintergrund des Bildes annehmen, während seine Filmgattin im Vordergrund in der Küche rumort. Die Ähnlichkeit des Bildaufbaus schweißt die beiden Szenen zusammen und läßt erahnen, daß hinter der Alltäglichkeit etwas Bedrohliches lauert. Nur enig später erfahren wir, daß der Tote an Lungenpest erkrankt war und die Seuche die ganze Stadt bedroht.

1951 verfilmt Kazan Tennessee Williams „A Streetcar named Desire“ und verwendet mit Marlon Brando erstmals in einem seiner Filme einen Method-Schauspieler in einer Hauptrolle. Über das Actors' Studio, das Kazan 1947 mitbegründete, und das aus den Ansätzen Stanislawkijs entwickelte Method-Acting ist bis heute viel und kontrovers diskutiert worden: Während Kreimeier in seinem Essay die seltsame These vertritt, das Actors's Studio habe sich durch eine „nachgerade britische Fähigkeit zum Understatement“ ausgezeichnet und es als eine von Kazans wichtigsten Einsichten ansieht, „daß Speilen vor der Kamera den Verzicht auf Spielen bedeutet“, vertritt Gerhard Midding in einer Besprechung von Lee Strasbergs Autobiographie eine gegenteilige und weit realistischere Ansicht: „Die Methode taugt im Kino vornehmlich, wenn nicht gar ausschließlich, für einen überhöten Realismus; die klassischen method actors verkörperten zumeist faszinierende Neurotiker und entwickelten dabei eine Intensität, die sich mittlerweile, so scheint es mir, nur noch im exzessiven Agieren erreichen läßt.“ Da für Method- Schauspieler jeder Blick und jede Geste psychologisch motiviert ist, gibt es für sie keine neutrale physische Präsenz – so daß sich für Midding schließlich die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit stellt: „Wie kann ich einem Schauspieler glauben, der mir unentwegt die Virtuosität seines Spiels vor Augen führt?“

Die größte Kontroverse um seine Person löste Kazan jedoch nicht durch einen Film mit prekärem Thema oder durch neuartige Schauspieltheorien aus, sondern mit seiner Aussage vor dem „House Un-American Activities Committee“ (HUAC) im Jahr 1952. 1947 hatte das HUAC im zeichen des beginnenden Kalten Krieges begonnen, Hollywood ins Visier seiner Untersuchungen zu nehmen. Unter freundlicher denunziatorischer Mithilfe einiger äußerst prominenter Zeugen wurden schon bald eine Reihe von tatsächlichen oder auch nur vermutetetn Kommunisten vor den Ausschuß zitiert, denen die alles entscheidende Gretchenfrage gestellt wurde: „Sind Sie jetzt oder waren Sie jemals Mitglied der Kommunistischen Partei?“ Einige Autoren und Regisseure, die später sogenannten Hollywood Ten, verweigerten unter Berufung auf die amerikanische Verfassung, die das Recht auf politische und religiöse Freiheit zusichert, die Aussage – und wurden prompt wegen Mißachtung des Kongresses zu Gefängnisstrafen verurteilt. William Wyler, John Huston und Philip Dunne gründeten damals das „Committee for the First Amendment“, das die Hollywood Ten unterstützte und die Abschaffung des HUAC forderte. In einem Artikel vom Dezember 1947 warnte Wyler scharfsinnig vor den wahren Absichten des HUAC: „Die Forderung nach einer Zensur, und auch Mr. Thomas' (der Ausschußvorsitzende) Forderung, die Industrie solle im eigenen Haus aufräumen, verfolgt nur die Absicht, die Lohnlisten Hollywoods von allen liberalen und progressiven Kräften reinzuhalten und dafür zu sorgen, daß die produzierten Filme Mr. Thomas' und Mr. Haersts eigentümlichen und willkürlichen Standards von allem, was unterhaltsam und amerikanisch ist, entsprechen.“ Wyler fürchtete ferner eine „Selbstzensur aus Angst“ und konstatierte: „Ansätze zu einer schwarzen Liste bestehen bereits.“ Auch Elia Kazan war im „Committee for the First Amendment“ tätig geworden und spielte seine Beteiligung jedoch herunter, als 1951 erneut – und in noch größerem Umfang als zuvor – Untersuchungen des HUAC in Hollywood stattfanden. Das politische Klima hatte sich mittlerweile noch verschärft – viele der ehemaligen Kommunisten bekamen (zu Recht) erhebliche Angst um ihre berufliche Zukunft und beschlossen, mit dem HUAC zu kooperieren. In einer ersten Anhörung vor dem Ausschuß im Januar 1952 hatte sich Kazan zu seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei in der Zeit von 1934-36 bekannt, sich jedoch geweigert, Namen anderer Mitglieder zu nennen. Dieses Verhalten hätte damals durchaus zu einer eiteren Vorladung oder gar Strafe führen können. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre Kazan jedoch von der Filmindustrie auf die schwarze Liste gesetzt worden – seine Karriere wäre ruiniert gewesen. Im April 1952 sagte er freiwillig erneut aus und nannte dabei auch insgesamt 16 Namen seiner damaligen Parteigenossen, die meisten, wie Kazan selbst, ehemalige Mitglieder des Group Theaters. In der Öffentlichkeit rechtfertigte er sich damit, daß „Geheimnistuerei nur den Kommunisten diene“, bekannte sich zu seiner liberalen Gesinnung und kritisierte die totalitären Methoden der kommunistischen Partei. Übersehen hatte Kazan dabei jedoch offensichtlich, daß das HUAC sich ähnlich totalitärer Methoden wie die KP bediente, mit den „unfreundlichen“ Zeugen geradezu Schauprozesse führte und eine weit größere Gefahr für die freiheitliche Ordnung Amerikas darstellte, als einige wenige Kommunisten. Roger Tailleur kommt in seiner ausführlichen Analyse von Kazans Rolle vor dem HUAC zu dem Schluß: „Selbst wenn er es politisch ehrlich meint, ist der Verräter schuldig“, und weist auf die Auswirkungen in den kommenden Filmen hin: „Kazan wird von nun an Szenen inszenieren, in denen Schuld für unschuldig plädiert.“

Zunächst einmal entblödete sich Kazan jedoch nicht, als nächste Arbeit den absurden Anti- Kommunisten-Film „Man on a Tightrope“ (Ost-Zirkus flieht mit Mann und Maus ins freiheitliche Bayern, der Zirkusdirektor opfert sich für seine Kollegen) in Angriff zu nehmen. 1954 folgt dann mit „On the Waterfront“ der am kontroversesten diskutierte Film seiner Karriere. Vielfach ist „On the Waterfront“ als Rechtfertigung des Verrats angesehen worden – eine Interpretation, der Drehbuchautor Budd Schulberg – der ebenfalls vor dem Ausschuß ausgesagt hatte – stets mit dem Argument entgegengetreten ist, der Film wäre schon Jahre zuvor geplant gewesen. Plot und Inszenierung scheinen jedoch eine andere Sprache zu sprechen: Ein leicht debil wirkender Hafenarbeiter (kongenial von Marlon Brando verkörpert) erkennt unter großen Seelenqualen, daß seine „Freunde“ Schurken sind und verrät sie vor einer Untersuchungskommission. Am Ende wird Brando von Kazan in Bildern mit christusgleicher Ikonographie inszeniert: Reihen von Hafenarbeitern säumen den Weg, den der zerschlagene, blutüberströmte Brando zurückzulegen hat, der unter der zentnerschweren Last der Verantwortung dahinwankt wie weiland Jesus unter der Last des Kreuzes. Der Film hat jedoch auch unbestreitbare Qualitä

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ten, insbesondere, wenn die Kamera Boris Kaufmans die winterliche Atmosphäre der Hafengegend von New York einfängt. Fairerweise sollte man anmerken, daß es zu „On the Waterfront“ auch völlig konträre Ansichten gibt; das Pro und Kontra ist im Buch zur Retrospektive durch zeitgenössische Artikel von Lindsay Anderson und Robert Hughes sehr schön dokumentiert. Obwohl Kazan in den folgenden Jahren sein Publikum erneut mit Alpträumen für Method-Actor-Hasser malträtiert – zum Beispiel mit „Baby Doll“, eine jener absurd neurotischen Geschichten von Tennessee Williams, bei denen man sich nur schwer entscheiden kann, ob der Humor nur unfreiwillig oder gewollt ist – gelingt es ihm 1957 mit „A Face in the Crowd“ seine künstlerische und persönliche Integrität zurückzugewinnen.

Der Film, der von der Korrumpierung durch Macht und der Verführbarkeit der Menschen durch das Medium Fernsehen handelt, scheitert jedoch ebenso an der Kinokasse wie die meisten von Kazans noch folgenden Filmen: „Wild River“, der in langen statischen CinemaScope-Bildern von der Großartigkeit und der Zerstörung einer Landschaft erzählt und „Splendor in the Grass“ stellen Kazans guten Ruf als Filmemacher endgültig wieder her. Aber auch sein persönlichster Film „America, America“ mit der Thematisierung der Emigration in die USA, den er nach seinem eigenen Schlüsselroman dreht, lockt die Zuschauer nicht zurück in die Kinos. Nach weiteren Mißerfolgen zieht Kazan sich 1976 aus der Filmbranche zurück. Seitdem ist er weitgehend als Romanautor tätig.

Helga Belach/Wolfgang Jacobsen (Hg.): „William Wyler“, mit Beiträgen von Hans-Christoph Blumenberg, Charlton Heston u.a. Während der Berlinale broschiert: 42 DM, später gebunden: 78 DM.

Helga Belach/Wolfgang Jacobsen (Hg.): „Elia Kazan“, 29,80 DM.

Retrospektive William Wyler im Astor, Hommage an Elia Kazan im Cinema Paris. Alle Wiederholungen im Zeughauskino