■ Abteilung Sparunsinn
: Ausbildung zur Prophetin

In den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit sind Frauenarbeitsplätze zur Rarität geworden – mit bald größerem Seltenheitswert als doppelflügelige Bergheuschrecken. Die um ihre Schäflein stets rührig besorgte Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen hat sich deshalb etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Alle machen sich Sorgen um die Zukunft, sinnierte eine der Frauenverwalterinnen und massierte sich die schmerzenden Sorgenfalten auf ihrer Stirn, aber niemand kann die vielen drängenden Fragen beantworten, wie diese Zukunft denn aussieht. Wie wäre es denn, wenn wir unseren Frauen eine Weiterbildung zur Wahrsagerin ermöglichen würden? Ein absolut krisenfester Beruf, der dazu noch mit seinen flexiblen Arbeitszeiten ausgesprochen familienfreundlich gestaltet werden kann! Eine tolle Idee! freuten sich die anderen Frauenverwalterinnen. Der Gerechtigkeit halber sollten wir diese kostbare Zusatzausbildung allen Frauenprojekten zukommen lassen.

Gesagt, getan. So kam es also, daß alle von jener Senatsverwaltung finanzierten Frauenprojekte Anfang des Jahres nur die Raten für Januar und Februar überwiesen bekamen. Wer die Rate für März haben wolle, hieß es aus dem Hause der Frauensenatorin, müsse bis spätestens 13. Februar die Abrechnung für die beiden ersten Monate des Jahres vorlegen. Zugegeben, auf den ersten Blick wittert man hier den neuesten Geniestreich aus der Abteilung Sparunsinn: Um 3,40 Mark in der März-Rate einsparen zu können, werden Tausende von Verwaltungskräften in den abzurechnenden Frauenprojekten und in der überprüfenden Senatsverwaltung beschäftigt. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich die raffinierte moderne Pädagogik, mit der die zukünftigen Wahrsagerinnen von der ersten Ausbildungsstunde an mit dem Ernst des Lebens konfrontiert werden. Wer Mitte Februar schon genau weiß, wieviel der Kontostand Ende Februar betragen wird, wahrhaft, ich sage euch, der oder die hat das Zeug zur Prophetin. Ute Scheub