■ Wer liest eigentlich das „Journal für Deutschland“?
: „Die Einheit freut mich nach wie vor“

In zweimonatigem Abstand publiziert die Bundesregierung das Journal für Deutschland, und das liest sich so nationalgesinnt und frohvereint, daß man sich damit für zwei Monate den Höchstbedarf an nationalistischem Gedankengut binnen einer halben Lesestunde aneignen kann. Gleich die erste Seite zeigt ein Bild von unzähligen stolzen Deutschen, offenbar archetypisch in einem Stadion sitzend, und dazu dröhnt es wie aus dem Volksempfänger scheinheilig: „Was? So viel Lob? Während früher manchmal Angst dominierte, prägt jetzt Wertschätzung das Bild der Deutschen.“ Besondes schön: „manchmal Angst“. Ob die Waschlappenausländer da an die „unrühmlichen“ Jahre denken? Das bißchen Krieg – man muß auch mal vergessen können.

Weiter berichtet das Journal von der Zukunft, die „längst da“ ist (Zwischenüberschrift: „Hart wie Kruppstahl?“), der Lösungssatz des Rätsels lautet „Rücksicht kommt an“ und die Bundeswehr erhält Lob für ihre „friedenserhaltenden Missionen“ (illustriert ist dies mit einem Kampfhubschrauber, der ein „tonnenschweres Haus für ein neues Jugenddorf“ durch den Wald schwenkt, lieb von ihm, das, und: enorm friedenssichernd).

Nun mag man fragen, wer so etwas liest. Dies zu eruieren ist nicht schwer, da reicht schon die Lektüre der Leserbriefseite. Dort bekunden Leser aus Orten wie Haßloch, Todtnau, Wernigerode oder Rositz, wie prima sie das mit Deutschland so finden und wie sehr sie dem Journal für vielerlei „Denkanstöße“ zu Dank, wenn nicht Wahl, Parteizugehörigkeit und Fahnenschwenken fortan verpflichtet sind. Die meisten schreibenden Leser allerdings sind nicht nur blöd – die sind sogar fiktiv.

Ausgiebige Recherchen ergaben: „Max Seedorf, Elmshorn“, dessen Sorge der „ohnehin viel zu großen Zahl der Studierenden“ gilt, gibt es genausowenig wie „Uwe Hielscher, Rositz“. Andere Leser wiederum existieren gleich dutzendfach. „Günter Schubert, Hamburg“ etwa („Weg mit dem alten Regulierungsmuff!“) gibt es laut Telefonbuch natürlich genauso spurenverwischend oft wie auch „Wildtrud Albrecht, Hannover“ („Über die staatliche Einheit Deutschlands freue ich mich nach wie vor“).

Zwei Leser aber existieren wirklich. Zum einen Dorothea Ender aus Rockenburg, deren Laudatio auf die „Heimatvertriebenen“ argen Kürzungen unterworfen ward, wie sie betrübt berichtet: „Ja, das war länger, und das macht jetzt nicht mehr so viel Sinn, das ist mir auch aufgefallen.“ Dabei hätten die Vertriebenen doch „eine ganze Portion dazu beigetragen, den Frieden zu sichern, durch ihre Energie auch“.

Der andere existente Leser ist Dr. Friedrich Kuntz aus Haßloch. In seinem Leserbrief hatte er den Artikel über „die Produkte von drüben“ gelobt. Das sei „wichtig vor allem gegen das zu schnelle Vergessen“. Herr Kuntz hat kein Verständnis für Menschen, „die immer nur jammern, aber nichts tun“. Auf Nachfrage der taz bestand er ausdrücklich darauf, daß zwischen West- und Ostprodukten „praktisch kein Unterschied“ bestehe. Warum dann also Ostprodukte kaufen? Gegen das Vergessen? „Ja“, salbadert Herr Kuntz, „die Einheit ist zum Teil nur auf dem Papier vollzogen, noch nicht im Kopf.“ Ächz. Ostern sei er zuletzt „drüben gewesen“, und das sei ja auch schon komisch, daß da einfach was dazugekommen ist, ob ich mal drauf geachtet hätte, „vor 89 haben die im Wetterbericht zwar immer Leipzig gezeigt, aber nie gezeigt, was da für ein Wetter ist“.

In der Tat die wohl einschneidendste Veränderung – endlich wissen wir, daß da auch Wetter ist. Benjamin v. Stuckrad-Barre