Die Stasi, das Gemüse und Luxusdessous

Nur noch wenige Zuschauer kriegen mit, wie sich Monika Haas im Prozeß um die „Landshut“-Entführung gegen den „Blödsinn“ in den Stasiakten zur Wehr setzt  ■ Aus Frankfurt am Main Heide Platen

Monika Haas sitzt angespannt auf der Anklagebank im dunklen, fensterlosen Sicherheitssaal des Frankfurter Oberlandesgerichts. Manchmal streicht sie fahrig das aschblonde Haar aus dem blassen Gesicht.

Sie wirkt an jedem Verhandlungstag anfangs schüchtern, als müsse sie sich immer wieder neu an die sie beobachtende Öffentlichkeit gewöhnen und ihre zitternde Stimme in den Griff bekommen. Seit Anfang der Woche schleppt sie sich wegen eines Bandscheibenschadens nur mühsam hinkend zu ihrem Stuhl. Und das soll „Amal“, die „Schöne Frau“, die „Queen of Aden“, Superagentin mehrerer westlicher Geheimdienste vom hochkarätigen Mossad bis zum Bundesnachrichtendienst, vom französischen Geheimdienst auch, gewesen sein?

Das jedenfalls haben die Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) im „Operativen Vorgang Wolf“ über Jahre hinweg immer wieder behauptet. „Ein OV“, doziert ihr Verteidiger, der Rechtsanwalt Armin Golzem, ist auf „Desinformation und Destruktion der Person“ ausgerichtet. Diejenigen, die so etwas bis dahin nicht wußten, weil ihnen die Welt der Spione und Geheimdienste gar zu fremd ist, können seit drei Wochen in dem Strafprozeß gegen die 47jährige Monika Haas vor dem Frankfurter Oberlandesgericht einen tiefen Blick in die Akten tun – und darüber staunen.

Monika Haas, angeklagt, im Herbst 1977 die Waffen für die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ an das vierköpfige Entführerkommando „Matyr Halimeh“ nach Mallorca geliefert zu haben, wehrt sich ihrer Haut meist leise, aber akribisch bis zum Buchhalterischen. Die im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus aufgewachsene ehemalige Telefonistin und Sachbearbeiterin achtet auf Genauigkeit: „Ich habe hier nicht alles erwähnt. Nur Sachen, von denen ich die Hoffnung habe, daß sie überprüft werden können.“ Der Stasi-Verdacht, so ihre Interpretation, habe vor allem ihrem Mann, einem der DDR-kritischen Führer der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP), und dessen Organisation schaden sollen.

Sie hatte Zaki Helou, den Vater von zweien ihrer drei Kinder, 1976 in Aden im Jemen geheiratet. Seit die Berichte der „Quellen“ im Dienste von „Horch und Guck“ verlesen werden, ist das Publikumsinteresse gesunken. Im Saal sitzen meist Freundinnen und Bekannte von Monika Haas, gestandene Feministinnen der 68er Generation. Sie gerieten über dem Engagement für Monika Haas in Widerspruch zu einigen ihrer ehemaligen männlichen Mitstreiter, die sich seit Jahren um den untergetauchten Hans-Joachim Klein kümmern, der als Opec-Attentäter gesucht wird, dem bewaffneten Kampf abschwor und sich seither sowohl vor der RAF als der Polizei versteckt. Ihm werfen die Frauen vor, Haas wider besseres Wissen und aus Geltungssucht und Geschwätzigkeit beschuldigt zu haben.

„OV Wolf“ liest sich dann eher dürftig. Die Spitzel-Berichte sind miefig und piefig, als seien sie mit moralinsaurem Neid auf die glitzernde Glamour-Welt des imperialistischen Westens verfaßt. Die ohne eigentliche Wichtigkeit mehrmals wiederholte Vermutung, daß Haas eine imperialistische Agentin sei, „weil“ sie beim Umzug in ihre neue Wohnung in Aden „Möbel vom französischen Botschafter“ bekommen habe, unterstellt unterschwellig dekadentes Luxusleben im Lotterbett. Immer wieder ist auch die „antisowjetische und antiimperialistische Haltung“ notiert.

„Zwangsstaaten“ habe die Frau die Sowjetunion und die DDR genannt. Und schlimmer noch sei eine Behauptung gewesen, die in unfreiwillig komischer Ernsthaftigkeit protokolliert ist. Haas habe öffentlich gesagt, daß „die Frauen aus den sozialistischen Ländern den Frauen aus Aden immer das ganze Gemüse wegkaufen“. Daß die RAF sich in den Protokollen unversehens als Bote für europäische Luxusgüter für „Amal“ „bis hin zur Unterwäsche“ wiederfindet, dürfte deren ehemaligen Kadern ebenfalls zu einem überraschend neuen Selbstverständnis verhelfen.

Haas bestritt am dritten Verhandlungstag, an dem sie „OV Wolf“ „so einen Blödsinn“, „erlogen und erdichtet“ und „Unfug“ nannte, ernsthaft nur die Sache mit dem Gemüse nicht: „Das war wirklich so!“ Die Akten hätten, vermutet Rechtsanwalt Golzem, durch das „Bearbeiten der fiktiven Figur Monika, nicht der realen“ ein virulentes Eigenleben entwickelt. Als langjähriger Rechtsvertreter von Haas erfuhr er aus ihnen ebenfalls Überraschendes: „Rechtsanwalt Golzem gilt als Agent der Polizei.“ Haas zweiter Verteidiger, der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Bendler, nannte die Unterlagen „sich selbst fütternde Schlußfolgerungen der Verfasser“.

Monika Haas macht manchmal den Eindruck, als ob sie sich weniger an der erdrückenden Anklage abarbeite als daran, zu beweisen, daß sie keine Agentin gewesen sei, also auch nichts und niemanden verraten habe. Dies Interesse ist nicht ganz unverständlich. Immer wieder hatten Medien berichtet, daß verschiedene internationale linke Organisationen Rachefeldzüge gegen sie planten. Diese seien, so Haas, „in einem in sich geschlossenen System“ in der Gerüchteküche der Stasi zusammengebraut worden, die in bewährter Geheimdienstmanier Falschinformationen streute und Zeitungsmeldungen lancierte, um diese dann wiederum als Beweisstücke der Akte beizufügen: „Die wollten den imperialistischen Geheimdienst empfindlich treffen, indem man mich umbringt. Sie haben nur verzweifelt jemanden gesucht, der ihnen die Drecksarbeit abnimmt.“

Nach den Stasiakten soll sie Attentate auf Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt verraten haben und Informantin bei spektakulären Verhaftungen von RAF- und anderen Kommandos gewesen sein. Dafür hätte sie eigentlich, so ein Beobachter, „das Bundesverdienstkreuz bekommen müssen“.

Beim Verlesen dieser Passagen verliert Haas die Fassung: „Und daß ich hier sitze, ist jetzt der Dank dafür?“ Entspräche der „OV Wolf“, auf den sich die Anklage stützt, auch nur in Teilen der Wahrheit, dann hätte die „Landshut“-Entführung tatsächlich unter Mithilfe einer Topagentin und bezahlt von bundesdeutschen Behörden stattgefunden. Daß Haas seit Anfang der 80er Jahre legal wieder in der Bundesrepublik lebte, gab in den vergangenen Jahren Journalisten immer wieder Anlaß zu der Vermutung, sie werde gedeckt. Sie griffen die Vorwürfe der Stasi ebenfalls auf, fügten eigene Vermutungen hinzu und witterten Skandal.

Aus den Stasiakten tritt allerdings auch zutage, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln erst 1981 und vergeblich versuchte, Haas anzuwerben. Es benutzte dabei Insider-Informationen über die „Landshut“-Entführung, die es, so die Verteidiger, wenn nicht von Haas, möglicherweise von der Stasi zugespielt bekam. Daß die bundesdeutschen Verfassungsschützer erst vom Gegner „gespickt“ und dann bei ihren Folgeaktivitäten belauscht wurden, hätte eine eigene Pikanterie.

Die Abteilung „Elektronische Aufklärung“ des MfS hörte jedenfalls mit, interpretierte den verklausulierten Anwerbeversuch aber konfus und verdächtigte Haas anschließend auch noch, im Rauschgiftgeschäft tätig zu sein. Haas habe, sagt sie heute, damals panische Angst bekommen, weil sie dachte, der Mossad verfolge sie. Sie informierte die Polizei und reiste dann übereilt in den Jemen ab.

Ende Februar wird Monika Haas möglicherweise im Gerichtssaal mit der bisher einzigen Belastungszeugin konfrontiert. Im Herbst 1994 ist die Palästinenserin Souhaila Andrawes von Norwegen in die Bundesrepublik ausgeliefert worden. Die potentielle Kronzeugin ist einzige Überlebende des Kommandos „Matyr Halimeh“. Sie zog ihre Aussage inzwischen schriftlich zurück. Bundesanwalt Hohmann hält dennoch an ihr fest: „Sie hat ihre Aussagen von der Substanz her nicht widerrufen. Sie möchte sie bloß nicht wiederholen.“

Andrawes, die sich mit der Aussage, Haas sei die Waffenlieferantin gewesen, wochenlang schwertat, ist Mutter einer neunjährigen Tochter und erhofft für sich einen Straferlaß. Sie habe, schrieb sie dem Frankfurter Gericht, als sie ihre Aussage zurückzog, „nicht gelogen und keine Geschichten erfunden“, denn: „Die Polizei hatte die Informationen.“ Dies sieht die Verteidigung als Beleg dafür, daß Andrawes die Vorzüge der Kronzeugenregelung nicht verlieren und als noch immer verehrte Märtyrerin des palästinensischen Volkes in der Öffentlichkeit nicht als Verräterin dastehen wolle.