■ Sollen die Grünen den anderen Parteien den liberalen Kern der vor sich hinsiechenden FDP überlassen?: Die Selbstblockade aufheben
Angesichts des Zerbröselns der FDP und der Turbulenzen in der Regierungskoalition ist es bei den Bündnisgrünen erstaunlich ruhig, während die SPD kräftig Öl ins Feuer gießt. Dabei wären die Parteien gerade jetzt gut beraten, ihren politischen Standort und ihre Koalitionsstrategie zu überdenken. Für den bündnisgrünen Mainstream gilt seit eh und je: Die Partei steht links. Auch ein großer Teil der Parteienforscher plaziert sie dort. Weil nach dem Einmaleins einschlägiger Wahlanalysen große Teile der bündnisgrünen und der sozialdemokratisch-aufgeklärten WählerInnen quasi auf derselben politischen Achse verortet werden – postmaterialistisch, postnational, ökologisch-sozial –, erscheint Rot- Grün als einzige koalitionspolitische Option.
Ohne sich vom Scheitern dieser Perspektive in den letzten drei Legislaturperioden entmutigen zu lassen, blies zuletzt Grünen-Experte Joachim Raschke anläßlich des bündnisgrünen Parteitages in Bremen noch einmal kräftig ins rot-grüne Horn (taz 2./3. 12. 95). Er findet immer wieder neue Argumente für seine Strategie: letztes Mal trotz Scharping, dieses Mal gerade wegen Lafontaine, letztes Mal noch ohne PDS, diesmal unter ihrer rechnerischen „Einbeziehung“. Für Gerhard Schröder sieht Raschke eine besondere Rolle vor: Dieser soll durch seinen hemdsärmeligen Populismus „im schwarz- roten Gewässer“ fischen und für die Mehrheit zur Mitte hin sorgen. Doch die Konturen der dort verorteten WählerInnen bleiben dabei blaß; man braucht sie nur als Füllmasse für den Machtwechsel.
Diese Strategie hat drei zentrale Schwächen: 1. Sie definiert die Bündnisgrünen in erster Linie in ihrer Wechselwirkung zur SPD. 2. Sie überläßt der SPD und CDU den Kampf um die politische Mitte und den liberalen Kern der FDP. 3. Sie legt die Bündnisgrünen auf eine einzige koalitionspolitische Option fest.
Gehen wir der Reihe nach. Raschke ordnet die Bündnisgrünen parteiensoziologisch als „Kleinpartei“ ein. Damit definiert er sie vorab als Hilfstruppe für eine Großpartei und verzichtet von vornherein darauf, sie auf das gesamte politische Kräftefeld in der Bundesrepublik hin zu positionieren. Es geht ihm vor allem um die Wechselwirkung mit der SPD, etwa wenn er argumentiert, daß die Grünen „die Widersprüche der SPD zum Tanzen bringen könnten“, in dem sie die Glaubwürdigkeitslücke der SPD in zentralen Politikfeldern offenlegen (Rüstungsexporte und U-Boot-Bau, DM-Nationalismus und Europapolitik, Autogesellschaft und ökologischer Umbau). Das Dilemma dieser Strategie ist schon in der Vergangenheit gewesen, daß sie lediglich auf Austauschprozesse innerhalb des rot-grünen Spektrum hinausläuft. Raschkes Fehler ist, daß er wie selbstverständlich davon ausgeht, daß sich Grüne und SPD „in vielen Fragen programmatisch nicht sehr deutlich voneinander unterscheiden“.
Hält man Parteiprogramme für die Substanz einer Partei, mag diese Beobachtung richtig sein. Die Debatte um die außenpolitische Neupositionierung der Bündnisgrünen aber war gerade ein Beispiel dafür, wie wenig die Programmlage der Rolle entsprechen muß, die eine Partei im öffentlichen Diskurs über zentrale Streitfragen in der Gesellschaft spielt. Dadurch haben die Bündnisgrünen nicht nur stellvertretend für große Teile der Gesellschaft und der politischen Klasse, die dieses Thema rein funktional bearbeitet hat, leidenschaftlich über die Gefahren und Chancen von militärischen Interventionen diskutiert, sondern dabei de facto auch weit über ihre eigene Klientel hinaus in die politische Mitte hineingewirkt. Daß Joschka Fischer danach im ZDF-Politbarometer erstmals unter den fünf Politikern mit den höchsten Sympathiewerten lag, ist ein Indiz dafür.
Warum sollten vor diesem Hintergrund die Bündnisgrünen eigentlich darauf verzichten, im Kampf um die politische Mitte und die heimatlos gewordenen Liberalen mit der SPD und der CDU zu konkurrieren? Nicht nur in der Auseinandersetzung mit Lafontaines verstaubten Friedenspopulismus, sondern auch in anderen zentralen Fragen der politischen Auseinandersetzung sind sie die „modernere“ und lernfähigere Partei, um mit dem Reformflügel der CDU um die politische Mitte zu konkurrieren. Dies betrifft sowohl die Sozialpolitik, bei der die Bündnisgrünen auf Grund ihrer subsidiären Traditionen eher als die etatistisch agierende SPD in der Lage sind, Konzepte für den Übergang vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft zu entwickeln, als auch den offensiven Kampf um eine bürgerrechtsorientierte Innen- und eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik. Gerade in den letzten beiden Politikbereichen könnten die Grünen nach dem endgültigen Bankrott der FDP in diesen Fragen durch eine auf Öffnung zielende Politik viel eher als die SPD die heimatlos gewordene liberale Mitte ansprechen und an sich binden.
Natürlich setzt das voraus, daß die Bündnisgrünen endlich ihre Angst vor der politischen Mitte aufgeben. Solange eine Hinwendung dorthin in der Partei aber mit einer Rechtsentwicklung gleichgesetzt wird, wird sie weiterhin auf eine Politik der Selbstvergewisserung im linken Milieu setzen. Wenn sie dagegen als Öffnung zu den tragenden Kernschichten der demokratischen Gesellschaft begriffen würde, könnten die Bündnisgrünen sich aus dem strategischen Dilemma lösen, zur Koalition mit nur einer der beiden Großparteien verdammt zu sein.
Die dritte Schwäche von Raschkes Strategie: Sie kennt nur eine einzige koalitionspolitische Option. Jenseits dieses Horizonts beginnt bei ihm offensichtlich nur die Wüste. Folgen die Bündnisgrünen weiterhin einer solchen Festlegung, blockieren sie sich sowohl in ihrer programmatischen Entwicklung als auch in ihrem politischen Gestaltungsspielraum. Warum aber sollen sie sich weiterhin einem Modell verschreiben, das für die strukturell notwendigen Reformen der bundesdeutschen Politik zur Zeit weder Mehrheiten noch Überzeugungen mobilisieren kann? Durch eine weitere Öffnung zur politischen Mitte dagegen könnten sie perspektivisch sowohl einer rot-bündnisgrünen Koalition das Profil eines gerade nicht rein links definierten Bündnisses geben und es dadurch mehrheitsfähig machen, als auch für die CDU koalitionsfähig werden. Eine gar nicht so üble Konstellation, wenn es darum geht, die politischen Preise für eine zukünftige Koalition auszuhandeln. Und das könnte auf die Bündnisgrünen schneller zukommen, als ihnen lieb ist. Lothar Probst
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