Statt Recherche nur Parteinahme

Im Streit um das Lebenswerk von Simon Wiesenthal wärmte die Panorama-Redaktion eine in den USA längst erledigte Kontroverse auf. Im Kern geht es um die Affaire Waldheim  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Rein quotenmäßig, war die Panorama-Sendung über Simon Wiesenthal mit dem programmatischen Titel „Ende einer Legende“, ein Mißerfolg. Waren zu Beginn des Beitrags noch 6,5 Millionen Zuschauer vor den Fernsehgeräten, sank die Zahl, nach Auskunft des Autors Volker Steinhoff, sehr bald auf den Tiefpunkt von 3,73 Millionen. Für Steinhoff ein Beleg für den Mut der Redaktion, heiße Themen trotz fehlender Akzeptanz anzupacken.

Gemessen allerdings an dem Presseecho und an den unzähligen Hörer-und Leserbriefen an Panorama und Zeitungsredaktionen provozierten diese 21 TV-Minuten die Öffentlichkeit so heftig wie schon lange nicht mehr. Der Beitrag weckte Emotionen, weil anhand von vier Fällen die Lebensleistung des heute 88jährigen Wiesenthals, nämlich sein ganzes Leben lang Naziverbrecher gejagt zu haben, als „Betrug“ hingestellt wurde. Als „Betrug“ an den Verfolgten, die in Wiesenthal ihre Hoffnungen setzten und als „Betrug“ der internationalen Öffentlichkeit, die Wiesenthal ehrte, weil er durch seine Ermittlungen Kriegsverbrecher auf die Anklagebank brachte. Angeblich brachte – so der Film. Denn in Wahrheit habe er in allen wichtigen Fällen versagt, durch Desinformation die Aufklärung erschwert und – der wichtigste Punkt: Einen wahren Kriegsverbrecher, nämlich seinen österreichischen Parteifreund Kurt Waldheim, mittels Dokumentenunterdrückung, einen „Persilschein“ (Beate Klarsfeld) ausgestellt.

Die schweren Vorwürfe der Autoren Steinhoff und John Goetz basieren im Wesentlichen auf den Aussagen von Eli Rosenbaum, Leiter der NS-Fahndungsabteilung im US-amerikanischen Justizministerium, Elan Steinberg, Exekutivdirektor des Jüdischen Weltkongresses und Isar Harel, früherer Mossad-Chef in Israel. Juden gegen Juden könnte man den Beitrag bilanzieren, wenn nicht Filmmontage und kommentierende Überleitungen der Redakteure den Eindruck erweckten, es ginge ihnen um harte Fakten, untermauert durch objektive Aussagen kompetenter Zeugen.

Dem ist allerdings mitnichten so. Die Panorama-Autoren haben einen fast auf den Tag genau zehn Jahre alten Streit für das deutsche Publikum aufgewärmt, Geschichten scheinbar objektiviert, die in den USA und Israel überaus kontrovers diskutiert und schon längst Gegenstand solider historischer Untersuchungen geworden sind.

Es ist der Kampf Jüdischer Weltkongreß (JWC) gegen Kurt Waldheim im Jahre 1986 und damit indirekt ein Kampf auch gegen Wiesenthal.

Wiesenthal bewertete Waldheim im Gegensatz zum JWC zwar als „Lügner“, aber nicht als Kriegsverbrecher. Der Film beleuchtete nicht das Umfeld, in dem der Streit stattfand, sondern ergriff mit bemerkenswerter Einseitigkeit zehn Jahre danach Partei für den Weltkongreß. Und dies angereichert durch die Enthüllungen über Wiesenthals Übertreibungen bei der Suche nach Eichmann und anderen. Auch dies sind Neuigkeiten von dem Mossad-Chef Harel dem Jahre 1975.

Wortführer der entscheidenden Auseinandersetzung um Waldheim 1986 war neben dem etwas vorsichtiger agierenden Elan Steinberg derselbe Eli Rosenbaum, der im Film als objektiver Rechercheur des US-Justizministeriums zu Wort kommt. Damals war er der Rechtsberater des JWC, der in unzähligen Pressekonferenzen immer neue Behauptungen gegen Waldheim vorlegte und sich dabei, wie der amerikanische Historiker Richard Mitten in seinem Buch „The Politics of Antisemitic Prejudice“ (1992) ausführlich darlegt, in den Fakten heillos verhedderte. Zwischendurch beförderte er Waldheim zum SS-Offizier, dichtete ihm eine Mitgliedschaft in der NSDAP an (Waldheim war Mitglied im NS-Studentenbund und ein paar Monate in der Reiterstandarte der SA) und versuchte ihm eine persönliche Mittäterschaft bei der Exekution des britischen Captain Warren 1944 in Griechenland nachzuweisen.

Das glückte Rosenbaum allerdings damals nicht und auch heute nicht den Panorama-Autoren. Der Inhalt des im Film gezeigten Dokuments mit der Waldheim Signatur „W“ bleibt dem Zuschauer verborgen. Es würde allerdings, selbst wenn es in voller Länge gezeigt worden wäre, eine persönliche Mittäterschaft in keinster Weise bewiesen. Zu diesem Ergebnis kam 1988 auch die internationale Historikerkommission unter Mitwirkung von Manfred Messerschmitt, der im Film mit einer sehr kryptischen Zusammenfassung des Falls zu sehen war. Persönliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind Waldheim bis heute nicht nachzuweisen, sehr wohl aber die Nähe zu Kriegsverbrechern. Nichts anderes hatte Wiesenthal behauptet und dafür vom JWC Dresche bezogen.

Wenn Rosenbaum in den USA mit seinem 1993 erschienen Buch „Betrayel“, dessen Sicht die Panorama-Autoren 1996 übernommen haben, aufs Neue Wiesenthal attackiert, riecht das deshalb nach später Rache und nicht nach Recherche. Dies ist auch die Ansicht von David Harris, Geschäftsführender Direktor des American Jewish Committee, der größten jüdischen Organisation in den USA. Der JWC habe sich ab 1986 in den „Waldheim-Wiesenthal-Fall“ verrannt, sagte er der taz. Er habe zuerst „Behauptungen aufgestellt und sich danach um die Fakten gekümmert“. „Ich habe vor Simon Wiesenthals Lebenswerk den allergrößten Respekt“, ergänzte er, denn „wenn es jemanden gab, der ständig sein Augenmerk auf die Kriegsverbrechen richtete, war es Simon Wiesenthal“.