Kinder nicht in Watte packen

■ Eltern protestieren gegen geplanten Ausbaustopp von Integrationsklassen Von Patricia Faller

„Ich möchte nicht, daß mein Sohn in Watte gepackt wird.“ Deshalb hat Silvia Heinsohn dafür gekämpft, daß der körperbehinderte Hendrik in eine Integrationsklasse eingeschult wird und nicht in eine Sonderschule. „Was nützt es Hendrik, wenn sich alles nach seiner Behinderung richtet. Im Alltag ist das auch nicht so“, sagt sie. Ihr achtjähriger Sohn, von Geburt an querschnittsgelähmt (Spina bifda), müsse lernen zu fragen, wenn er Hilfe braucht. Zum anderen verspricht sich die engagierte Verfechterin des Integrationsmodells davon, daß mehr Menschen ganz selbstverständlich mit Behinderten umgehen lernen und den Betroffenen dadurch auch ihre Unterstützung anbieten können.

Doch der Ausbau des bundesweit vorbildlichen Hamburger Konzeptes zur Integration von Behinderten ist wegen der desolaten Haushaltslage der Hansestadt bedroht. 1996 gibt es keine neuen Standorte für Integrationsklassen, in denen in der Regel drei bis vier behinderte Kinder zusammen mit 17 nichtbehinderten unterrichtet werden. Neben den LehrerInnen arbeiten in diesen Klassen einE ErzieherIn (dreiviertel Stelle) und einE SonderschulleherIn (2,5 Wochenstunden pro behindertem Kind). Um dieses Modell zu erhalten, ruft die Landesarbeitsgemeinschaft Eltern für Integration zu einer Protestaktion am Samstag auf dem Rathausmarkt auf. Ini-Mitglied Claudia Nagel-Johannsen erklärt zu den Folgen des Ausbaustopps für Hamburg: pro Jahr erhalten nur 66 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen Platz in einer Integrationsklasse, weit über 100 würden abgelehnt. Sie würden weiterhin schulisch ausgegrenzt und müßten nicht nur weite Schulwege mit bis zu drei Stunden Busfahrt zu den Sonderschulen in Kauf nehmen, sondern auch lange Schultage. „Ein normaler Familienalltag oder gemeinsame Unternehmungen mit FreundInnen im Stadtteil sind da nicht möglich“, erklärt Claudia Nagel-Johannsen.

Auch für den rollstuhlfahrenden Hendrik ist es schwierig, die Kontakte zu seinen MitschülerInnen zu pflegen. Da es an den 342 Hamburger Grundschulen erst 22 Integrationsklassen gibt, muß er eine zehn Kilometer entfernte Gesamtschule besuchen. Nachmittags muß ihn dann seine Mutter zu seinen Verabredungen fahren. Doch solange keine Integrationsklasse in ihrer Nähe ist, nimmt sie das gerne in Kauf, damit Hendrik nicht den ganzen Tag in einer geschützten Einrichtung verbringen muß. Und daß ihr Sohn durchaus weiß, was er will, bewies er unlängst auf dem Schulhof: Die umstehenden Viertklässler staunten nicht schlecht, als der couragierte rollstuhlfahrende Erstklässler auf sie zukam und sie fragte, ob sie mit ihm Fußball spielen würden.

Demonstration und Kundgebung am Samstag um 11 Uhr auf dem Rathausmarkt. Weitere Infos zur Arbeit der Ini: Tel. 5893144 Landesarbeitsgemeinschaft für Integration.