■ Nachgefragt: Arbeitslos, aber versichert?
Ab sofort kann sich jeder gegen die Einkommensverluste bei Arbeitslosigkeit privat versichern. Allerdings birgt die bundesweit einmalige Offensive der Volksfürsorge etliche Zusatzbedingungen: Eintreten dürfen nur ArbeitnehmerInnen im Alter zwischen 22 und 50 Jahren, die seit mindestens drei Jahren in einem unbefristeten, ungekündigten und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen. Die Versicherung tritt erst in Kraft, nachdem zwei Jahre lang Beiträge entrichtet wurden. Ist das der Fall, sichert die Versicherung bei Erwerbslosigkeit über die Dauer von maximal einem Jahr bis zu 90 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Jeder aufzustockende Hunderter kostet den Versicherungsnehmer 12 Mark Beitrag pro Monat.
Beispiel: Ein Arbeiter mit 3.000 Mark Nettoverdienst erhält bei 60 Prozent Arbeitslosengeld 1.800 Mark. Die Versicherung würde ein Jahr lang 900 Mark aufstocken. Der Arbeiter aber müßte zuvor 9 mal 12, also 108 Mark monatlich aufgebracht haben. Und dies fünf Jahre lang, denn so lange muß er zahlendes Mitglied bleiben. Er müßte 6.480 Mark zahlen, um 10.800 Mark zu bekommen. Frühestens nach 15 Jahren Mitgliedschaft erhält er die eingezahlten Beiträge abzüglich der gewährten Leistung zurück. Allerdings nur 80 Prozent plus Zinsen. Ist eine solche „Arbeitslosenversicherung“ empfehlenswert? Bärbel Hartz, Geschäftsführerin des Versicherungskontors, nimmt Stellung:
taz: Würden Sie eine Arbeitslosenversicherung vermitteln?
Bärbel Hartz: Ja.
Kritiker bezeichnen die Arbeitslosenversicherung als unmoralisch.
Man könnte sich durchaus über mehr als nur diese eine Versicherung streiten. Hier spielen zwei Aspekte eine Rolle: Es ist eine ganz pfiffige Idee der Volksfürsorge, im Hinblick auf deren geschäftliche Aktionen. Andererseits kann man Arbeitslosigkeit nicht über Versicherungen bewältigen. Man kann nicht erwarten, daß das Problem individuell gelöst wird. Eigentlich stecken dahinter extreme strukturelle Probleme der Gesellschaft, die politisch gelöst werden müßten. Die individuelle Abwicklung, die jetzt auf allen Ebenen stattfindet, das ist gerade der Skandal dabei.
Der Versicherungs-Branchendienst „map-fax“ feiert die Police als „sensationelle Produktinnovation für kleine Leute“.
Das sehe ich nicht so. Bei 3.000 Mark Netto-Einkommen muß man 108 Mark monatlich für die Versicherung berappen. Das ist ja schon eine ganze Menge. Wenn das Einkommen noch geringer ist, wird zwar der Beitrag anteilig geringer, aber ein geringeres Einkommen setzt schließlich auch eine strengere Kalkulation voraus. Eigentlich werden mit dem Angebot die Falschen erreicht, nämlich die, die es bezahlen können. Die, die es brauchen, weil sie sowieso schon ein zu geringes Einkommen haben, können es nicht bezahlen. Es wird aber allgemein suggeriert, auf die Art und Weise ließe sich Arbeitslosigkeit bewältigen.
Sollte man Geld nicht besser anlegen?
Man weißt ja nicht, wann die Arbeitslosigkeit eintritt. Hinter dieser neuen Police steckt ein typischer Versicherungsgedanke. Außerdem wird das Geld von der Volksfürsorge letzten Endes erstattet.
Bei 4 Millionen Arbeitslosen ließe sich so eine Versicherung auch als flankierende Maßnahme zum Sozialabbau deuten.
Das kann man so sehen. Da entstehen Defizite im Versorgungssystem, und die Versicherungen überlegen, was sie bieten können. Das gibt es auch im Bereich der Krankenversicherung. Auf die erste Gesundheitsreform reagierten die privaten Krankenversicherungen mit Ergänzungsverträgen. Die privaten Versicherungen, die vorher verhindert haben, daß die Kassen bestimmte Leistungen anbieten können. Die Versicherungswirtschaft paßt da schon sehr gut auf, das ist wohl auch nicht anders von denen zu erwarten. Das ist dem Versicherungsgedanken immanent. Ob Haftpflicht, Rechtsschutz, die füllen natürlich solche Lücken. Da darf man sich nicht wundern, wenn die jetzt auch die Arbeitslosigkeit aufgreifen.
Mit 53 Jahren endet automatisch der Versicherungsvertrag. Ist das nicht ein Hohn angesichts dessen, daß Bundesarbeitsminister Blüm die Koppelung von Teilrente mit Teilzeitarbeit plant, wobei nur 60 Prozent der ehemaligen Bruttobezüge gezahlt werden sollen?
Auch die Volksfürsorge versucht natürlich, das Risiko für sich einzudämmen. Versicherungsunternehmen sind traditionell nicht risikofreudig. Die versuchen, ihre Unternehmungen in einen kalkulierbaren Rahmen zu kriegen. Was ihnen schwierig erscheint, da halten sie sich raus. Das sieht man auch an dieser Altersbegrenzung.
Wieviele Menschen werden mit der Police Schutz vor dem Verdienstausfall suchen?
Ich glaube nicht, daß das ein sehr hoher Anteil ist. Wir hatten trotz der großen Presse bisher keine Anfrage. Ich glaube nicht, daß das bei näherem Hinsehen viel Begeisterung erweckt. Fragen: Dora Hartmann
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