Bis zur Erschöpfung

■ Jugendparlament diskutierte drei Tage lang in der Hamburger Bürgerschaft Von Andreas Albert

Erschöpft waren sie schon ein bißchen. Zweieinhalb Sitzungstage, engagiertes Debattieren in sechs Ausschüssen, brisante Themen wie Rassismus, Drogen- und Schulpolitik, Medien, Wohnen und Soziales, Umwelt, Energie und Verkehr – da ist die Sehnsucht nach einem freien Tag groß.

Die Mehrheit der fast 100 TeilnehmerInnen an der Veranstaltung „Jugend im Parlament 1995“, engagierte Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren, ging gestern mit dem Gefühl nach Hause, ihre Arbeit mit Erfolg beendet zu haben. Aber auch mit dem leisen Zweifel, ob sie von MedienvertreterInnen und ParlamentarierInnen ernst genommen wurden. Der Bürgerschaftspräsident für drei Tage, Steven Galling, resümierte dennoch zufrieden: „Wir haben deutlich gezeigt, daß wir Jugendlichen politikfähig sind.“

Kritisiert wurde hauptsächlich der Zeitplan, der die Arbeitsfähigkeit stark einschränkte. Die Ergebnisse können sich trotzdem sehen lassen: In den Ausschüssen wurden Resolutionen entworfen, die in der 'Jugend-Bürgerschaft' diskutiert und verabschiedet wurden. Beschlossen wurde zum Beispiel die Dezentralisierung der Ausländerbehörde und ihre Aufteilung auf die Ortsämter in Verbindung mit Personalaufstockungen, die verstärkte Verfolgung rechtsradikaler Straftäter oder die langfristige Legalisierung aller weichen Drogen.

Hinter dieser Forderung steht die Annahme, daß es „keine drogenfreie Gesellschaft geben kann,“ so Fabian Schlimper, der Vorsitzende des Drogenausschusses. Er hat mit seiner Arbeitsgruppe das Büro für Suchtprävention sowie eine Beratungsstelle für akzeptierte Drogenarbeit besucht und mit dem Drogenbeauftragten der Stadt gesprochen. Die eigene Erfahrung machte die meisten SchülerInnen zu Experten auf ihrem Gebiet.

Daß viele Jugendliche dem Auto kritisch gegenüberstehen, aber nicht aus der Stadt verbannen mögen, zeigten die Debatten zur Verkehrspolitik: Verkehrsberuhigung nur auf Nebenstraßen, aber auch weniger Parkplätze und mehr Fußgängerzonen in Altona, St. Georg und St. Pauli sowie Priorität für die „Veloroute“ im Grindelviertel.

Die Jung-PolitikerInnen sprachen sich außerdem gegen die diskutierte Abschaffung der 13. Jahrgangsstufe auf Gymnasien aus und forderten mehr Mitspracherecht in den Schulgremien sowie Anhörungsrecht auf Bezirksversammlungen. Die Herabsetzung des Mindestwahlalters auf Kommunal- und Landesebene auf 16 Jahre würden sie ebenfalls gerne sehen.

Auch ein kleiner „Skandal“ überschattete die Veranstaltung. Ein Lehrer hatte eine geschlossene Schulklasse angemeldet, obwohl das Verfahren eine möglichst heterogene Zusammensetzung der TeilnehmerInnen gewährleisten sollte. Die zu der Veranstaltung genötigten SchülerInnen machten auf den Pressesprecher der Bürgerschaft, Karl Stellmacher, den Eindruck von „Zwangsverschleppten“.

Bei der abschließenden Pressekonferenz gestern mittag kam allerdings der Eindruck auf, daß die ParlamentarierInnen und Rathausdiener die Jugendlichen möglichst schnell loswerden und wieder unter sich sein wollten.