Zwischen Cheerleading und zweiter Liga

■ Norderstedter Volleyballer ringen am Sonntag in Leipzig um den Klassenerhalt Von Folke Havekost

Schauplatz Moorbekhalle. Der Volleyball wird ans Netz gestellt, Dirk Schlüters Schmetterschlag prallt an den gegnerischen Block und springt aufs blanke Parkett: Angriff gescheitert. Trainer Schlesinger holt einen neuen Ball aus dem Vorratskorb – die nächste Angabe: Grauer Trainings-Alltag beim 1.SC Norderstedt, der am Sonntag (15.30 Uhr) beim SC Leipzig ums sportliche Überleben in der Bundesliga kämpft.

Erst vor einem halben Jahr hatte der letztjährige Zweitliga-Sechste kurzfristig das Spielrecht des finanziell gestrauchelten 1.VC Hamburg erworben. Möglich war dies nur durch die Übernahme von sechs Spielern und den Schulden des Vorgängers, die den vergleichsweise schmalen 460.000-Mark-Etat mit 42.000 Mark belasteten. Das kaum eingespielte Team, in dem mit dem 33jährigen Oldie Juris Grantinsh nur ein Spieler des alten Kaders verblieben war, startete mit 4:6 Punkten annehmbar, dann machte sich die mangelnde Feinabstimmung bemerkbar. Fünf Niederlagen in Serie ließen den Neuling, in den Achtzigern schon dreimal zur Kurzvisite im Oberhaus, auf den achten Platz stürzen – der Abstieg droht.

Dabei hatten sich die Norderstedter eigentlich schon einer entfernteren Zukunft zugewandt. Manager Carl-Heinz Christesen („Volleyball muß Show werden“) leitete gegen Widerstände des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) eine „Amerikanisierung“ der Volleyball-Präsentation ein: Im Rahmenprogramm der Heimspiele erleben die durchschnittlich 990 ZuschauerInnen neben der obligatorischen Tombola auch eine Cheerleader-Formation. Nach dem sportlichen Konzept „Norderstedt 2000“ von Trainer Bernd Schlesinger soll sich der Verein in zwei bis drei Jahren für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren, wofür mindestens der vierte Platz in der Bundesliga erforderlich wäre.

Doch scheitern die Norderstedter im Übergangsjahr an der Konkurrenz im Abstiegskampf, steht auch der Zerfall der Mannschaft bevor – das Gros der Spieler besitzt nur Verträge für die erste Liga. Trainer Schlesinger, zuvor drei Jahre beim VCH tätig und so zur Genüge mit Pleiten, Pech und Pannen des Hamburger Volleyballs vertraut, beklagt schon jetzt lautstark mangelnde Unterstützung des Umfeldes: „Viele springen ab, wenn's mal nicht so läuft.“ Die Hypothek einer ungewissen sportlichen Zukunft erschwert die anvisierte Aufstockung des Norderstedter Etats auf mindestens 600.000 Mark erheblich.

Der Sorgen nicht genug, verabschiedeten sich nach dem letzten Spiel gegen Moers auch noch Jörg Ahmann und Axel Hager nach Rio de Janeiro, um dort an der Weltmeisterschaft im Beach-Volleyball teilzunehmen. Die beiden Europameister stehen Schlesinger erst Ende März wieder zur Verfügung, möglicherweise gerade rechtzeitig. Zwar ist bei einem Sieg in Leipzig selbst der rettende siebte Platz wieder in Reichweite. Wird allerdings verloren, geht es am 12. März gegen den Neunten TV Düren um die Qualifikation zur Ausscheidungsrunde mit zwei Zweitligisten im April, in der noch ein freier Bundesliga-Platz vergeben wird. In diesem Vabanque-Spiel wären auch Ahmann und Hager wieder dabei.

Zum Trainingsende heißt es „Kasten hochkant, Beine rauf“: Lockerungsübungen. Nicht nur für die Waden, auch für die Psyche. Mentale Stärkung ist zur Zeit besonders gefragt.