Hübsche Konflikte um vielschichtige Kunst

■ „Nachdenkmal“: Das Groß Borsteler Kriegerdenkmal soll nicht mehr so alleine sein

Ein Klotz aus Mauersteinen, darauf eine halbe Kanonenkugel – „Thron“ für die Adlerskulptur. Nach Westen gerichtet blickt der Vogel vom Hügel – auf dem Kriegerdenkmal „Am Licentiatenberg“ in Groß Borstel. Bei grauem Himmel, Matsch von oben und von unten, verleiht auch der umgebende Lindenhain dem Klinkerkubus nicht den Ausdruck, der beim Gedenken an kläglich verreckte Soldaten angemessen wäre: Trauer.

Das Denkmal wurde 1922 errichtet, nach einem Entwurf von Richard Kuöhl, der später das „76er Denkmal“ am Dammtor konzipierte. Nur wenig ist darüber bekannt: Veranlaßt haben könnte es der „Kommunalverein Groß Borstel von 1889“, der noch heute existiert und Belege dazu nicht findet. Auch die Frage, wessen hier gedacht werden soll, ist nicht genau geklärt: Die Darstellung des Adlers läßt auf eine Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg 1870/71 schließen. Möglicherweise nachträglich angebrachte Plaketten erinnern hingegen an 72 Groß Borsteler Soldaten, die, wörtlich, im ersten Weltkrieg „den Heldentod für das Vaterland starben“. Auf gleichem Grund finden sich auch noch Hinweise auf den zweiten Weltkrieg. Inschrift: „Niemand hat grössere Liebe denn die dass er sein Leben lässet für seine Freunde.“

Die Bürgerinitiative „Groß Borstel gegen Rechts“ ärgert sich über das Denkmal, denn „es geht dort nicht nur um das Beklagen von Toten, sondern um Militarismus, um die Würdigung heldenhaften Tuns“, sagt Andrej Wroblewski, ein Vertreter der Gruppe. Deshalb hat die Initiative einen Entwurf für ein Gegendenkmal bei Gerd Stange bestellt – dem Hamburger Künstler, der schon bei den Projekten „Verhörzelle“ (Geschwister-Scholl-Straße) und „Subbühne“ (Tarpenbekstraße 68) mit viel Engagement und Einfühlungsvermögen gestalterische Geschichtsarbeit praktizierte. Stange hat nun entworfen, für das Werk bevorzugt er die Bezeichnung „Nachdenkmal“.

„Schützengraben – Soldatengrab“ ist der Titel der begehbaren Konstruktion, die nicht nur für denselben Hügel wie das Kriegerdenkmal vorgesehen ist, sondern die auch auf einem 20 Meter langen Erlebens-Weg direkt zu ihm hinführen soll. Im Entwurf ist der Eingang 1,40 Meter hoch. Zur Mitte hin wird der mit Granitsplittern gepflasterte und nach oben mit Gitterstäben begrenzte Tunnel höher, am Ende kann man aufrecht darin stehen – und schaut direkt auf den Adler. So erinnert der Künstler an die Grabenkriegsführung 1914-18, er erschließt Möglichkeiten, dem Leiden der Soldaten nachzuspüren. Das Erblicken des Macht- und Siegessymbols aus der Opferperspektive, aus Bedrängnis und Dunkelheit heraus, macht Widersprüche fühlbar: hier verordnete Ohnmacht – dort Kriegerehre.

Gerd Stange, der das Projekt 1997 verwirklichen möchte, plant auch hier, Kinder in die Arbeit einzubeziehen. „Mit Schülern über Grenzen gehen, Veränderungen bewirken, Formen schaffen und Schichten freilegen“, das sind wichtige Ideen seiner Kultur- und Kunstarbeit, die er auch bei den bereits bestehenden „Gedächtnisräumen“ umsetzte.

Zur Finanzierung des „Nachdenkmals“ hat „Groß Borstel gegen Rechts“ 100.000 Mark Haushaltsmittel beim Bezirk Nord beantragt. „Das ist gar nicht so viel“, sagt Stange, „wenn man bedenkt, was etwa eine Ampelanlage kostet“. Als absolutes Minimum müsse man bei der Ampel mit 150.000 Mark rechnen, informiert die Baubehörde. Das größte Problem bei der Realisierung ist ohnehin nicht das Geld, sondern die Tatsache, daß das Ehrenmal auf einem bronzezeitlichen Grabhügel steht – und für den gilt Denkmalschutz. Elke Först, Leiterin der Abteilung Bodendenkmalpflege im Hamburgischen Museum für Archäologie (Helms-Museum), ist unerbittlich: „So geht's nicht! Der Schützengraben ist nicht machbar, man kann die Grabstätte nicht zerstören.“

Anders sieht das Thomas Sello, Leiter des Museumsdienstes in der Kunsthalle. Er hat häufig mit Stange zusammengearbeitet und weiß dessen „Denkmäler, die sich nach innen kehren und nicht monströs nach außen“, sehr zu schätzen. „Es ist kein Fehler, sowas an einem schwierigen Ort zu machen“, sagt Sello. „Eines muß das andere nicht zerstören, zumal der Hügel ja schon mit dem alten Denkmal brachial zubetoniert wurde“. Als Museumspädagoge will er die Gelegenheit nutzen, in Zusammenarbeit mit Schulen die Geschichte des Denkmals von 1922 zu erforschen. Kooperationsbereitschaft setzt er beim Direktor des Helms-Museums, Ralf Busch, voraus.

Ein anderer Museumsdirektor, Jörgen Bracker vom Museum für Hamburgische Geschichte, unterstützt das „Nachdenkmal“ schon. Ihn stört vor allem die Bedeutung der Kriegerdenkmäler während des Nationalsozialismus: „Der Tod der Soldaten wurde instrumentalisiert, als ,Opfertod' zur Begründung revanchistischer Kriege herangezogen. Das hatte mit Trauer nichts zu tun.“ Viele Soldaten seien allein wegen der unsäglichen Verhältnisse in den Gräben umgekommen, „es ist gut, das Kriegerdenkmal aus deren Sicht zu betrachten“.

Keine Unterstützung gibt es hingegen vom „Kommunalverein“. Seine Leiterin, Hildegard Springer, ist auch Mitglied bei „Groß Borstel gegen Rechts“. „Persönlich bin ich sehr für das Projekt. Man muß aber die älteren Vereinsmitglieder verstehen, die mit dem Denkmal eigenes Erleben verbinden“, sagt sie. Doch Sello und Bracker sind sich einig, daß die Problematik des Projektes auch positive Seiten hat. Sello: „Je komplizierter die Umsetzung, desto vielschichtiger das Ergebnis.“ Bracker freut sich sogar ein bißchen: „Da wird es noch hübsche Konflikte geben!“

Nele-Marie Brüdgam