„Der Vulkan ist zu retten“

■ Interview mit ex-Vulkan-Chef Hennemann

taz: Ist der Vulkan-Konzern noch zu retten?

Friedrich Hennemann: Ja, ich sehe das so.

Was müßte getan werden?

Die neue Führung muß jetzt diese Chance, dieses Luftholen nutzen, um ein Gesamtpaket an Lösungen auf den Tisch zu legen. Es muß wieder eine Perspektive sichtbar werden...

Bei aller Perspektive muß man aber auch von heute auf morgen die Liquidität sichern...

Das von heute auf morgen ist die Voraussetzung, diese Voraussetzung ist jetzt gegeben, man muß diese Voraussetzung nutzen.

Sie als Vorstandsvorsitzender haben mit dem Anlagenbau-Betrieb Dörries-Scharmann ein faules Ei ans Vulkan-Bein gebunden. Müßte man das von heute auf morgen abstoßen, zum Beispiel?

Nein, das ist falsch. Dörries-Scharmann ist kein faules Ei.

Aber eine der Verlust-Quellen. Wieviele Verluste kostet Dörries-Scharmann monatlich?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn der Betrieb Verluste kostet, sind es Einmal-Verluste.

Es gab interne Kritik daran, daß der Vulkan sich überhaupt im Anlagenbau engagierte.

Werner Lenz (vgl. taz-Interview 10.2.) läßt anklingen, Herr Scheider sei gegangen, weil er mit dem Konzept Maschinenbau nicht einverstanden gewesen sei. Dies ist nicht richtig. Als über die Verlängerung des Aufsichtsratsmandat zu entscheiden war, bestand beim damaligen Haupteigner Bremen in der Person des Präsidenten des Senats der Wunsch, daß Werner Niefer nach seinem Ausscheiden aus dem Daimler-Benz-Konzern Vorsitzender des Vulkan-Aufsichtsrates werden sollte, und das hat Herr Scheider respektiert.

Konnte Wedemeier das so zusagen?

Er war mit rund 20 Prozent der mit Abstand größte Aktionär. Dies hätte einen großen Vorteil für den Vulkan gehabt, weil Niefer sehr viele Verbindungen insbesondere in die Ostmärkte hatte. Er sollte für den gesamten Daimler-Benz-Konzern das Ostgeschäft koordinieren.

Herr Lenz sagt, Sie hatten den Überblick verloren.

Dies kann natürlich so nicht stehen bleiben. Sicher hat der Vorstandsvorsitzende keinen tagesgenauen Überblick über die Abwicklung und den Fortgang aller Projekte des Konzerngeschehens und über die Tätigkeit von über 20.000 Mitarbeitern. Die operativ verantwortlichen Manager wissen aber genau - tagesgenau - über ihre Bereiche Bescheid und sind berichtspflichtig, wenn Gefahr droht.

Zu Dörries-Scharmann zurück: Das Konzept Dörries-Scharmann ist richtig. Es leidet nur daran, daß der Kollege, der das Konzept gestaltet hat, es zu früh verlassen hat. Dasselbe wie jetzt bei Costa: solche komplexen Projekte dürfen nicht mehrere Wochen oder Monate führungslos gelassen werden. Dörries-Scharmann ist vom März bis Juni 1995 ohne konsequente, treibende Führung gewesen.

Brauchte der Vulkan-Verbund diese Firma?

Der Vulkan insgesamt ist spezialisiert auf komplexe Produkte. Am sichtbarsten wird das in Fregatten wie die Mecklenburg-Vorpommern oder in Costa. Jedes dieser Produkte kostet mehr als eine halbe Milliarde. Für diese Produkte gibt es keinen regionalen Markt, für die gibt es nur einen Weltmarkt. Dörries-Scharmann steht für spezialisierte Bearbeitungszentren, die teilweise etwa so groß sind wie ein Zweifamilienhaus.

Für solche Dimensionen ist „Vertrauen“ keine vordergründige Hochglanz-Werbefloskel...

Vertrauen ist eine wirtschaftlich entscheidende Voraussetzung. Es ist eine Wettbewerbskomponente. Wenn das Vertrauen in das Unternehmen nicht da ist, werden Sie Ihren Markt, Ihren Kunden nicht finden. Der Kunde muß das Vertrauen haben, daß er sein Produkt nach den zwölf oder gar achtzehn Monaten Bauzeit kriegt. Was noch entscheidender ist: Der Kunde legt sich mit diesen Produkten und Anlagen auf eine technische Lösung fest, an die er möglicherweise auf Jahre gebunden ist. Der Reeder muß sein Schiff acht und mehr Jahre betreiben. Dieses Vertrauenspotential hängt auch mit dem Service zusammen: Der Kunde muß das Vertrauen haben, daß das Unternehmen ihn mit Service begleitet.

Das wollte ich eigentlich fragen: Entscheidend war im letzten Herbst, daß das Banken-Konsortium, allen voran die Commerzbank, das Vertrauen in Sie als Unternehmensführer verloren hat.

Das habe ich so nicht gesehen. Es gab wahrscheinlich inhaltliche Differenzen. Die Banken waren beim Vulkan in der sehr schwierigen Situation, Gläubiger zu sein und gleichzeitig wichtige Eigner-Funktionen wahrnehmen zu müssen. In kritischen Situationen gibt es da schon Interessenunterschiede. Aber ich habe immer dafür plädiert, die Banken nicht zu überfordern: Die müssen auch die Interessen ihrer Aktionäre wahren.

Wer hat Sie denn vom Hof gejagt, wenn nicht die Banken?

Die Banken haben allenfalls Interessen, die an sie herangetragen worden sind, mit wahrgenommen. Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, daß es ihr originäres Interesse war, so unprofessionell sind sie nicht, daß sie ein Management ablösen, ohne ein neues zu haben. Das ist sicher eine der Ursachen der derzeitigen Schwierigkeiten.

850 Millionen Mark sind weg, sagt die EU, versickert, versandet, in Löcher gestopft worden. Haben Sie da Fehler gemacht?

Nein, das ist auch falsch. Ich darf zunächst dazu sagen, daß es sich nur um das letzte Jahr gehandelt haben kann. Ausweislich der geprüften Bilanzen war eine Milliarde per 31.12.94 noch vorhanden. Darüber gibt es auch keinen Streit. Im Gegenteil, noch Ende 1995 hat der Vertragspartner des Verbundes, die BfS, korrekte Vertragserfüllung bestätigt.

Anfang des Jahres gab es dann Probleme beim Vulkan...

Nein, Anfang des Jahres gab es keine Probleme. Es gab Juli/August ein Problemchen, und dafür gab es auch eine Lösung. Und dann ist aus dem Problemchen ein Problem entstanden, an dessen Lösung wir heute arbeiten. Man sollte aber jetzt nicht unnötig über die Vergangenheit reden. Mir kommt es darauf an, daß es trotz der Bedrohung durch die EU, die man sehr ernst nehmen muß, eine Zukunft gibt für den Verbund.

Die Kommission fordert, daß das Geld zurückfließt, das Geld ist aber nicht da im Verbund.

Das ist eine vereinfachte Darstellung. Der entscheidende Punkt ist, daß die Finanzierung der Investitionen zum Zeitpunkt des Bedarfs gesichert ist. Die Unternehmensplanung sah die Absicherung stets vor. Sie hat bis vor kurzem funktioniert, und mehr als die Hälfte aller Investitionen ist ja bereits realisiert. Die Ereignisse der letzten Monate haben Planung und Konzept des Verbundes in Frage gestellt. Diese Investitionen müssen so organisiert sein, daß sie auf Dauer ertragsträchtig sind. Und das sind sie nur in einer Verbund-Lösung. Man muß ein Konzept haben, das die Ertragswahrscheinlichkeit dieser Investition nachweist.

Anfang des Jahres muß doch jemand im Vulkan-Verbund das Geld so gebraucht haben, daß es jetzt nicht wieder zurückfließen kann, wenn es für seinen eigentlichen Zweck gebraucht wird. Sonst wäre ja kein Problem entstanden.

Das ist kein Problem, solange man kreditwürdig ist. Wenn Sie den Anschluß an den Geldmarkt nicht mehr haben, dann hängt das weniger damit zusammen, daß die Banken nicht wollen oder können, sondern dann fehlt Vertrauen in das unternehmerische Konzept des Verbundes. Da sind wir wieder bei einer Frage an das neue Management.

Das neue Management des Vulklan-Verbundes tritt bisher nach außen nicht auf, versteckt sich. Man könnte fast den Eindruck haben: bekennt sich nicht zu seinem Unternehmen.

Dazu äußere ich mich nicht.

Lenz hat Ihnen vorgeworfen, daß Sie die erforderlichen Investitionen in die bremischen Werftstandorte vernachlässigt hätten. Hat Sie dieser Vorwurf getroffen?

Der Hinweis ist ja richtig, ich habe das nicht als Vorwurf gesehen. Wir haben unsere gesamten Investitionskräfte auf Mecklenburg-Vorpommern konzentriert. Dieser Verbund hat für beide Seiten große Vorteile. Die Mecklenburgischen Werften sind ohne das Markt- und Design-Know-how der westlichen Werften nicht lebensfähig, weil sie nur 180.000 CGT, das ist eine bestimmte Schiffsmenge, produzieren dürfen. Und die Westwerften können von der Produktivität der Ostwerften profitieren, denn dort entstehen die modernsten Werften der Welt. Vereinfacht könnte man sagen: Der Osten bringt das Produktions-Know-how, der Westen das Produkt- und das Markt-Know-how.

Dafür braucht man in Bremen aber nicht die Werftarbeiter mit dem Helm auf dem Kopf, sondern die in den Büros. Nicht die veraltete Lloyd-Werft, sondern...

Das ist auch falsch. Die Menschen mit dem Helm auf dem Kopf, die schaffen die Produkte. Die, wie Sie meinen, veralteten Strukturen der Menschen auf der Lloyd-Werft haben das modernste Know-how dieser Welt...

Herr Lenz hat angedeutet, daß er es am sinnvollsten fände, die Lloyd-Werft dichtzumachen...

Dann muß er sagen, was diese Leute sonst machen sollen...

Das war eine industriepolitische Konsequenz, keine arbeitsmarktpolitische.

Trotzdem. Die Lloyd-Werft hat sich einen Markt geschaffen. Sie hat z.B. eine ganz neue Dimension von Markt entwickelt. Wenn z.B. die Schiffe zuviele Tage brauchen, um nach Bremerhaven zu kommen, sind die Menschen mit dem Helm nach Singapur gefahren oder in die Karibik und haben dort mit ihrer Kompetenz aus Bremerhaven Schiffe repariert. Die Lloyd-Werft hat einen Liegeplatz auf den Bahamas, also im Einsatzgebiet der großen Touristik-Schiffe. Vom Marketing her hat sie eines der modernsten Konzepte der Welt.

Die Idee von Lenz war, den Platz der Lloyd-Werft hinter der großen Schleuse zu nutzen, um da eine völlig neue Werft hinzusetzen, die genauso modern ist wie die Ost-Werften. Das geht nur mit bremischen Staatsgeldern, weil kein Unternehmen dieses Risiko übernehmen würde. Das Land könnte es aus arbeitsmarktpolitischen Gründen tun.

Ich halte das unter EU-Gesichtspunkten nicht für machbar. Es müßte mindestens eine Mischung sein mit privatem Geld, das wäre denkbar. Dieses Konzept, alles am Kaiserhafen zu konzentrieren, ist immer wieder erwogen worden.

Wenn der Konzern kracht – was wird aus den bremischen Arbeitsplätzen? Hätte eine bremischen Verbund-Lösung eine Chance?

Nach meiner Überzeugung wäre es sehr viel schwierger als in einer großen Lösung. Den Bremer Schiffbau-Plätzen fehlte in einer Einzellösung - ebenso wie den Werften in Mecklenburg-Vorpommern - wichtige Teile des Weltmarktes, die sie nur gemeinsam sich sichern können.

Auch wenn Bremen viel Geld in eine Modernisierung investieren würde?

Es wäre sehr viel schwieriger. Man wäre ein Nischen-Anbieter wie die Meyer-Werft in Papenburg. Eine Nische aufzubauen ist aber nur langfristig möglich.

Während des Wahlkampfes'95 wurde über ein Unterweser-Konzept geredet, 230 Millionen aus der Staatskasse. Das hat der FDP-Wirtschaftssenator nicht gewollt. Es passierte dann gar nichts.

Man kann das nicht so stehen lassen, daß der Wirtschaftssenator das nicht gewollt hat. Es hat ganz einfach keine Verständigung gegeben zwischen Konzern und Koalition. Der Konzern hat dieses Problem auch nicht als Priorität gesehen, weil er sich ganz auf die Ost-Werften konzentriert hat – und auch immer eine Lösung aus eigener Kraft hatte. Die wäre nur für Bremerhaven nicht so schön gewesen, nicht das, was der Senat wollte.

Was hätte das für Bremerhaven bedeutet?

Ein Unterschied an Arbeitsplätzen.

Wieviel, etwa?

Wir wollen jetzt nicht die alten Schlachten schlagen.

Was ich nicht verstehe: Bei einem Umsatz von 6 Milliarden, bei dem 300 Millionen ein „Problemchen“ sind, warum ist da der Streit um die 230 Millionen Modernisierung der Bremer Werftstandorte so ein Problem?

Das eine sind Betriebsmittel, die sich wöchentlich umschlagen. Das andere sind Investitionen, die Sie für zehn, 20 Jahre festlegen müssen und für die Sie die Ertragschancen kalkulieren müssen.

Und die Banken hatten kein Vertrauen, daß das ertragreiche Investitionen gewesen wären in Bremen?.

Der Konzern vertrat diese Meinung. Es gab die Minimallösung, Bremerhaven mit einem reduzierten Volumen in den Verbund einzubauen. Wenn mehr Aufgaben nach Bremerhaven gegeben werden sollen, müssen die Finanzierungsvoraussetzungen stimmen. Der Standort Bremerhaven müßte ja konkurrieren gegen die Standorte in Mecklenburg...

Das müßte er ja heute auch noch...

... da hatte Mecklenburg einfach Vorteile.

Wenn das so ist, dann verstehe ich, warum der Costa-Auftrag mit einer Unterdeckung von 170 Millionen nach Bremen geholt werden mußte.

Bitte fragen Sie mich nicht zu aktuellen Themen. Ende Juli war der Costa-Auftrag bei Null, das heißt: ein kostendeckender Auftrag. Die Dimensionen, über die man jetzt spricht, müssen andere Gründe haben, sie hängen vermutlich auch mit der schwierigen Phase des letzten halben Jahres zusammen und dazu will ich mich nicht äußern.

Jetzt verstehe ich es wieder nicht mehr: Wenn man Passagierschiffe in der Dimension der Costa auf den bremischen Standorten kostendeckend abwickeln kann, dann hat das doch Perspektive, dann kann es doch keine Skepsis gegen Investitionen geben.

Der Vulkan ist mit diesem beiden Projekten in diesen Passagierschiff-Markt zurückgekehrt, die Bauzeit war ausschlaggebend: Da konnten die Wettbewerber nicht mithalten.

Wenn Sie das so miterleben müssen, wie der Verbund auf der schiefen Ebene nach unten rutscht, tut Ihnen das weh?

Ja, aber es geht nicht um mich, sondern es ging und geht immer um das Unternehmen, Manager sind Sie auf Zeit. Mein Wunsch ist, daß nach dieser schwierigen Übergangsphase der Erfolg sich fortsetzt. Die Voraussetzungen sind gegeben.

Ihnen als gelerntem Apotheker ist es ...

Wer „Apotheker“ sagt, verschweigt mit durchsichtiger Absicht, daß ich auch Betriebswirt und Reedereikaufmann bin. Im übrigen führen die Apotheker die erfolgreichste Industrie Deutschlands. Die Pharma-Industrie ist eine der ersten, die gesehen hat, daß sie ihre Spezialkompetenz weltweit vermarkten muß. Das ist eine Schlüsselfrage von Industriepolitik. Es findet ja nur eine zögerliche Industriepolitik statt in Deutschland. Industriepolitik ist immer eine Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik. Da hat der Standort Deutschland einen ungeheuren Wettbewerbsnachteil. Herr Schröder scheint diese Lücke jetzt füllen zu wollen.

Ihnen ist der Aufbau des Vulkan-Konzerns aus den praktisch konkursreifen bremischen Werft-Betrieben gelungen. Ein schwindelerregender Prozeß. Was war Ihr größter Fehler dabei?

Wenn es scheitern sollte, dann werden viele Leute darüber Analysen anstellen ...

... und über sie herfallen ...

... das wäre das Geringste. Und werden genau nachweisen können, an welchen Stellen welche Fehler gemacht wurden. Und wenn es zum Erfolg wird, was ich wünsche, dann wird das neue Management diesen Erfolg haben.

Sie waren bei dem Manager-Symposium in Davos, da wird es für Sie doch wichtig sein, ob dort gemunkelt wird: Das ist der Looser des Jahres, der den Konzern an die Wand gefahren hat ...

Das bestreite ich ja. Wenn Sie entscheiden, können Sie Fehler machen. Diesen Konzern gibt es in dieser Form erst seit 1992. Die Konsolidierungsphase hatte gerade 1994 angefangen, der Konzern hatte 28.000 Beschäftigten Ende 1993. Er sollte die bis Ende 1995 auf 23.000 Beschäftigte abbauen, bei gleichem Umsatz. 5.000 Leute weniger, das bringt einen „turn around“ von 400 Millionen. Damit wäre die Ertragskraft des Konzerns gesichert gewesen. Es ist bedauerlich, daß dieses in einer schwierigen Phase so unterbrochen worden ist. Das wird möglicherweise Jahre dauern, um diese Delle auszuwetzen. Fragen: K.W.