Der Anschluß Bremens an Niedersachen: Ein Faschingsartikel

■ Dieter Mützelburg, Fraktionssprecher der Grünen schaltet sich - nach den Altsenatoren Thomas Franke und Volker Kröning - in die Debatte um die Selbständigkeit Bremens ein und fordert den Regionalverband „Unterweser“ / Von einem Nordstadt, wie ihn Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) fordert, hält Mützelburg nichts. Für Niedersachsen werde die Anbingung Bremens nichts als eine teure Rechnung.

Plötzlich war sie da: die Debatte, ob Bremens Selbständigkeit als Bundesland den Bremern finanziell überhaupt noch zumutbar ist. Schließlich fiel den vom Lokal-TV befragten BremerInnen ja nicht vielmehr ein als: „Selbständigkeit gleich Sparen und Leiden“, „Selbständigkeit gleich Politikerpfründe und Postenschacherei“.

Und wo sich der Volksmund so zurückhaltend äußert, drängt es Politiker zu deutlicher Positionsbestimmung. Vorweg preschten zwei sozialdemokratische Uralt-Senatoren.

„Thomas“ Franke provozierte mit der einfachen Feststellung „Selbständigkeit lohnt sich nicht“. Sein Kollege Volker Kröning widersprach: „Die Vereinigung mit Niedersachsen wird für Bremen teuer.“

Schön ist, daß beide recht haben.

Natürlich schielt – wie Franke ahnt – der Bremer Arbeiter oder die Lehrerin neidisch nach umzu. Dort kostet sie ein Kindergartenplatz meist nur die Hälfte, Wasser und Aballbeseitigung sind billiger, Schwimmbäder und (sogar!) Gesamtschulen stehen fast vor der Haustür.

Und die Grundstückspreise, die Mieten, das Grün um das Häuschen drumherum und das Gewerbegebiet kosten auch nur einen Appel und ein Ei. Außerdem zahlt man mit seinen Steuern weder teure Staatsräte, die doch dauernd spazieren gehen, noch diese luxuriösen Busse und Straßenbahnen wie in der Großstadt. Schließlich genügen die beiden Familienautos für den Besuch in der City.

Und wenn doch mal was zu meckern ist, dann ist die Regierung in Hannover schuld. Und das ist bekanntlich weit weg.

Andererseits ist an Krönings Rechnungen ja auch etwas dran. Die paar Senatoren samt Personal und die Bürgerschaft kosten zwar gut 150 Millionen Mark im Jahr. Aber die Bundeszuweisungen, die Landessteuern und sonstigen Finanzvorteile, die Bremen als eigenes Bundesland erhält, wiegen diesen Betrag fünfmal auf.

Unter dem Strich würde – nach heutigen Zahlen – Bremen in Niedersachsen nicht reicher und Bremerhaven sicher ärmer. Arme Städte können sich keine neuen Kindergärten leisten, ja nicht einmal alte Schuldächer flicken.

Also bleibt alles wie es ist? Und alle bleiben so unzufrieden wie sie sind? Bremen erstarrt in seiner Selbständigkeit, die BürgerInnen ziehen entnervt ins Umland und irgendwann ist die Selbständigkeit einfach perdu, weil es keine Bremer mehr gibt?

Fusion mit Niedersachsen, eine Provokation in die Sackgasse?

Die Selbständigkeitsdebatte, wie Franke sie führt, knüpft an der Forderung nach gleichen Lebensverhältnissen für die Bürgerinnen in allen Ländern der Republik. Das garantiert das Grundgesetz. Diese Forderung hat den Zwang ausgelöst, daß Bund und Länder Bremen fünf Jahre lang je 1,8 Mrd. Mark zur Entschuldung an Bremen überweisen. Vor diesem ernsten Hintergrund der Debatte, wird der Vorschlag, Bremen an Niedersachsen anzuschließen, zum Faschingsartikel.

Wer durch territoriale Neuordnung wirtschaftlich halbwegs gleich fähige Länder schaffen will, der darf nicht marode Länder mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur fusionieren. Wer dauerhaft das Verfassungsgebot verwirklichen will, der muß sich an eine großflächige Neuordnung der Länder machen.

Deshalb ist Hamburgs Bürgermeister Voscherau mit seinem ständigen Nordstaat-Geschrei auch viel realistischer und selbstbewußter als alle Bremer Eingliederungsprovokateure.

Unter ökonomischen und vor allem unter administrativen Gesichtspunkten hat so ein Nordstaat, der nicht sklavisch an den jetzigen Küstenländergrenzen hängen müsste, sicher seinen Reiz.

Für die Bürger hingegen sind Reißbrettkonstrukte ohne Geschichte weniger attraktiv. Zusammengebastelte Großstädte wie Lahn oder „Glabottki“ (Gladbeck, Bottrop, Kirchhellen) hatten keine lange Lebensdauer. Gewachsene Beziehungen, die Traditionen einer Stadtrepublik, wie Bremen es über Jahrhunderte gewesen ist, lassen sich auch durch den Hinweis wegwischen, München, Dresden oder Köln existierten doch auch traditionsbewußt in ihren Ländern. Es handelt sich um Länder, die sich zu beträchtlichen Teilen um diese Metropolen entwickelt haben.

Richtig ist auch, wenn Volker Kröning die auf der Basis des heutigen Länderfinanzausgleichs errechneten finanziellen Einbußen des Landes und seiner Städte durch die Eingliederung nach Niedersachsen betont.

Krönings Vorstellung von Selbstsändigkeit ist blutleer und hat zwei Fehler. Erstens gingen einer Angliederung an ein anderes Land Vertragsverhandlungen voraus, in denen ähnlich wie bei der geplanten Fusion Berlins mit Brandenburg nicht nur die Schuldenfrage geregelt würde, sondern auch Finanzausgleichzahlungen und besondere Leistungen, die das neue Land übernähme (z.B. für Universität, Theater und andere Landeseinrichtungen und sicher auch eine finanzielle Garantie für die Hafenlasten).

Wahrscheinlich würde Bremen auch Übergangszahlungen erhalten, um sich auf die neue kommunale Situation einzustellen. Die Rechnung sähe gewiß weit freundlicher aus, als Kröning sie ausmalt.

Zweitens führt Krönings fiskalische Betrachtung der Selbständigkeit geradewegs in die bornierte Kleinstaaterei. Ich erinnere an den Protest, als Hamburg jahrelang knapp 2 Kilometer Schienen im Hafen für Bremer Containerzüge sperrte. Ähnliches schlägt Kröning Bremen vor: alles, was Niedersachsen in Bremen nachfragen, wie Bildung, Kultur, Ausbildungsplätze, wird teuer oder gesperrt. Die künftige Schulsperre für niedersächsische Schüler ist nur ein Vorgeschmack. Zugleich verlangt Kröning, und liegt damit auf der Scherf-Nölle-Linie, daß Bremen finanzpolitisch autrak werden soll. Das Mittel sind 50.000 Einwohner und Arbeitsplätze mehr. Dabei ist es kein Geheimnis, daß Bremen – auch wenn die neuen Wohnungen auf allen freien Grünflächen gebaut, alle Gewerbeflächen ausgewiesen und alle Autobahnringe geplant sind, immer noch nicht mehr Einwohner und Arbeitsplätze haben wird.

Die Stadt – Umland – Wanderung hat noch kein Flächenstaat stoppen können. Warum sollte das gerade Bremen gelingen, das teurere Kindergärten und keineswegs bessere Schulen hat, als Stuhr, Achim oder Delmenhorst ?

Die Zahlen, die Kröning und den Senat in eine teure aber verlustreiche Konkurrenz mit dem Umland treiben, sind klar: Seit 1970 schrumpft Bremens Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl im Verhältnis zum Umland. In den letzten fünf Jahren beschleunigt sich das Verhältnis drastisch.

Die BremerInnen gehören zu den Spitzenarbeitskräften. Sie liegen bundesweit auf Platz drei, wenn man das pro Kopf erwirtschaftete Sozialprodukt betrachtet. Sie verdienen auch ordentlich. Bremens Bevölkerung ist nicht besonders arm.

Aber Bremens Kassen sind und bleiben leer. Und zugleich ist das Land an Menschen, an Raum, an Wirtschaftskraft zu klein und eng, um Zukunftsaufgaben (wie es die Universität war oder der Hafenumbau heute ist) finanziell zu lösen und Krisen wichtiger Industriezweige selbst zu meistern. Klöckner war ein Kraftakt, der Vulkan überfordert das Land.

Schwankend auf dem Grat: gleichberechtigte Regionalpolitik

Zwischen Kleinstaaterei und Selbstaufgabe gibt es momentan nur einen Weg: Regionalpolitik. Regionalpolitik heißt Zusammenarbeit und Zusammenschluß mit dem Umland.

Nun gibt es ein kleines Problem. Die Gebietskörperschaften um Bremen sind äußerst mißtrauisch. Der Bremer Speckgürtel gedeiht zwar, aber er liegt selbst im armen Niedersachsen, und er ist mit dem Hamburger oder Hannoveraner Umland größenmäßig und vom Wirtschaftspotential her nicht zu vergleichen.

Dieses Umland wehrt sich ständig gegen (vermeintliche) Benachteiligungen aus Hannover, dessen Blick weniger zur Küste als nach Westen und Osten schweift. Und jetzt noch das arme Bremen, das unseren Speck absaugen will ? So denkt und spricht der umländische Kommunalpolitiker.

Warum sollte der Kreistag in Diepholz oder die Stadt Delmenhorst ein Interesse an Bremen haben? Ganz einfach: ein Teil der Menschen rund um Bremen verdient sein Geld und damit die kommunalen Steuereinahmen in Bremen.

Ein „Umland“ speckt doch nur deshalb an, weil es das Land um etwas (Bremen) herum ist. Zerfällt die Bremische Infrastruktur, zerbröselt ein Teil der Attraktivität der umländischen Standorte.

Kurz und gut: Wir brauchen in und um Bremen herum mutige Politiker, die die Vorteile der Stadt-Land-Beziehung nutzen wollen.

Das gilt für den Straßenbau, den ÖPNV, die Abfallentsorgung und die Energieversorgung, Wohnungsbau und Gewerbegebiete, Ausgleichsflächen und Erholungszonen.

Im Umland wird längst über gemeinsame Abstimmung beraten, in den Arbeitsgruppen des Kommunalverbundes, eines Zusammenschlusses der Gemeinden um Bremen. Bloß führen die derzeit einen Zwei-Fronten-Kampf, gegen Hannover und gegen Bremen.

Bremen muß abgeben, um stärker zu werden.

Regionalpolitik – wenn sie ernst gemeint ist – führt auch zu einer freiwilligen Aufgabe kommunaler oder landespolitischer Eigenständigkeit. Bündnis 90/Die Grünen schlagen schon länger einen „Regionalverband Unterweser“ vor. Wie so etwas aussehen könnte, hat ausgerechnet Hamburg schon vor 10 Jahren untersuchen lassen.

Dieser Regionalverband wäre zuständig für die regionale Infrastrukturplanung und das organisatorische Dach für die notwendigen gemeinsamen Zweckverbände, zum Beispiel für den ÖPNV. Bremen und Bremerhaven geben ebenso wie die Landkreise und Städte im Gebiet der jetzigen „Gemeinsamen Landesplanung“ (von Cuxhaven über Osterholz bis Verden und von Nordenham über Oldenburg bis Diepholz) ein Teil ihrer Selbstverwaltungsrechte ab, Niedersachsen und Bremen übertragen durch Staatsvertrag dem Regionalverband ebenfalls Teile ihrer Landesgesetzgebung. Und sie geben dem Regionalverband Bargeld an die Hand.

Seine erste Aufgabe könnten gemeinsame Planungen für Wohnungsbau und Gewerbestandorte sein. Die „Bürgermeisterkonkurrenz“ würde kräftig zurückgeschnitten. Natürlich könnte sich ein solcher Verband auch über Steuer- und Gebührenumverteilungen verständigen, solange die Einkommensteuer nicht zur Hälfte nach Wohnort und zur anderen Hälfte nach Arbeitsplatz zerlegt wird.

Der Regionalverband ist nicht illusionärer als die Träume von Bremens ungebremstem Wachstum auf Kosten der Nachbarn. Und sicher realistischer und bürgernäher als ein Kunstprodukt Nordstaat. Auf jeden Fall könnte ein solcher Regionalverband der Zersiedelung der Landschaft ebenso schlagkräftig begegnen wie dem Mülltourismus.

Er bietet eine Chance für ökologischere Politik. Und an Demokratie brauchte es nicht zu fehlen, wenn ein Regionalparlament mit Entscheidungsbefugnissen ge-wählt würde.

Spätestens dann könnte die Bremer Bürgerschaft auch deutlich kleiner werden.

Dieter Mützelburg