Im schönen Knast die Schöne Form

■ Nach 150 Jahren als Kerker, Knast und Folterkammer wird die Ostertorwache nun den Künsten zugeführt: Unter dem neuen Namen „Wilhelm-Wagenfeld-Haus“ wird hier künftig ein Zentrum für Design residieren

Lange hat die Fassade ihren Zweck erfüllt und den wahren Charakter des Gebäudes verhüllt. Obgleich die Ostertorwache schon bei ihrer Errichtung von 1825 bis 1828 nur zur Verwahrung von Gefangenen errichtet worden war, sah man das dem Gebäude nicht an. Die klassizistische Fassade lenkte die Assoziationen in Richtung des Schönen, Edlen und Guten. Schon die Zeitgenossen empfanden das „Detentionshaus“ als ein Beispiel von Verdeckungsarchitektur, sollten die Gefängnisse der Zeit doch eigentlich auf Außenstehende einen „düsteren, unheildrohenden Eindruck machen“. Seitdem staunten Bremenbesucher 150 Jahre lang ungläubig und mit großen Augen, offenbarte man ihnen, daß hier, hinter diesen weißen dorischen Säulen am Ostertor die Häftlinge in den Zellen schmoren.

Das wird sich nun ändern. Die Diskrepanz zwischen Schein und Sein wird bei der Ostertorwache ihr Ende haben. Mit der Brandstiftung im Zellentrakt sind die Tage des Gefängnisses frühzeitig zu Ende gegangen. Dieser Tage beginnt die komplette Sanierung des Gebäudes. Innerhalb eines Jahres soll die ehemalige Ostertorwache zu einem Sammelpunkt für das Design in Bremen werden. Mit Unterstützung der privaten Waldemar-Koch-Stiftung von 4,5 Millionen soll der Umbau durchgeführt werden. Danach werden in das „Wilhelm Wagenfeld Haus“ drei Nutzer einziehen: die Wilhelm Wagenfeld Stiftung, das Design-Zentrum mit seinen Büros und die Gesellschaft für Produktgestaltung.

Ausgesprochen ästhetisch ist die Konzeption der alten Ostertorwache schon bei ihrer Entstehung. Nachdem die Festungsanlagen der Stadt als überflüssig gelten und geschliffen werden, werden auch die alten Stadttore abgerissen. Da die Zollgrenzen aber noch bestehen bleiben, werden Ersatzbauten errichtet, an denen nächtens Besucher der Stadt gegen ein Entgelt die Tore geöffnet werden und ein Einlaß in die Stadt gewährt wird.

Aus den Sandsteinen des alten Zwingers werden beidseitig der Ausfallstraße zwei Gebäude errichtet, die die Ostertorwache aufnehmen. Das südliche, heutige Marcks-Haus nimmt die Wachräume und die Wohnung des Zollmeisters auf, das nördliche das Stadtgefängnis. An den zwei weißgekalkten klassizistischen Gebäuden mit Säulenvorhalle und Dreiecksgiebel weisen nur noch die kostbar verzierten Schlußsteine über den Fensteröffnungen auf die Funktion der Gebäude hin. Am Gefängnis martialische Motive: Medusenhaupt, Löwen, Helme und Wehrgehänge; auf der anderen Straßenseite friedliche Motive: Neptun, Merkur, Füllhörner.

Doch nicht nur die Schönheit der Architektur wurde an den Gebäuden der Ostertorwache gelobt; selbst die Inneneinrichtung, der Zellentrakt wurde damals tatsächlich gerühmt. Die Ostertorwache galt als ein Beispiel modernen Strafvollzugs, das man als „schönen Beweis der Humanität Bremens, die auch in dem Verbrecher den Menschen ehrt“ empfand. Denn in anderen Kerkern waren die Insassen so beengt, daß sie weder aufrecht stehen noch herumlaufen konnten, zumal die Gefangenen meist angekettet wurden. Zu den berühmtesten Häftlingen der Ostertorwache zählten gleich zu Beginn die Giftmörderin Gesche Gottfried und wenig später die Schriftstellerin und Sozialistin Marie Christine Mindermann.

Ihre Erfahrungen mögen denen geähnelt haben, die andere Gefangene hier machten. Bis vor wenigen Wochen noch genutzt, galten die Haftbegingungen in dem kaum renovierten Gefängnis längst als unzumutbar. Immer wieder wurden Klagen der Gefangenen über die Zustände in den kleinen, dunklen und überbelegten Zellen laut.

Wurde das südliche Wachhaus schon 1971 zum Museum für den Bildhauer Gerhard Marcks umbebaut, folgt nun die nördliche Ostertorwache. Allerdings mit einer völlig unterschiedlichen Konzeption. Das Marcks-Haus präsentiert sich mit seinen wechselnden Ausstellungen als großzügig entkernter Bau – die Ostertorwache bleibt in ihrer Zellenstruktur erhalten. Ein schmerzlicher Kompromiß für die neuen Nutzer? Mitnichten: „Wir haben uns gerade für dieses Gebäude beworben, weil wir die Zellen, so wie sie sind, nutzten können“ sagt Beate Manske von der Wilhelm Wagenfeld Stiftung. Zur Zeit klärt sie mit dem Architekten Heiner Klausing die Details der Sanierung ab. Klausing, der mit der Rekonstrution alter Gebäude schon Erfahrungen gesammelt hat, will „ganz behutsam“ vorgehen. In dem dreigeschossigen Bau sollen die alten Materialien weitgehend wieder zur Geltung kommen. Auch der für wechselnde Ausstellungen vorgesehene Foyerbereich wird nur spärlich entkernt. Manche Wände bleiben gleich stehen, um etwas aufhängen zu können.

Der Grundcharakter der Sanierung allerdings hat nicht nur pragmatische Gründe: Die Denkmalspfleger legten von Anfang an größten Wert darauf, daß nicht wieder die ästhetische Zurichtung des Gebäudes den wahren, historischen Charakter verschleiert. Schließlich ist im Dritten Reich in den Zellen der Ostertorwache gefoltert worden, waren hier Gestapo-Keller untergebracht. Heute weiß man noch davon. Und damit das auch so bleibt, wird ein ganzer Korridor mit fünf Original-Zellen im ursprünglichen Zustand erhalten. Das anschließende Aufseherzimmer wird zum Gedenkraum.

Den Rest der 150 Jahre alten Zellen werden die drei neuen Nutzer für ihre Zwecke verwenden. Wilhelm Wagenfeld Stiftung, Design-Zentrum und Gesellschaft für Produktgestaltung eint nicht nur der Design-Gedanke: Alle drei Insitutionen haben es mit ausgesprochen „kleinformatigen Objekten“ zu tun.

Das Design Zentrum hat sich die Verbreitung der schönen Form auf die Fahnen geschrieben. Zwar will man die Beratung von Firmen im Design-Haus an der Uni lassen, aber die Büroräume sollen im zukünftigen Wagenfeld-Haus unterkommen. Auch die Gesellschaft für Produktgestaltung, die sich dem Ankauf von Designer-Nachlässen verschrieben hat, wird hier einziehen. Man braucht Büros, aber vor allen Archiv-Platz. Da kommen die kleinen Zellen durchaus recht.

Die Wilhelm Wagenfeld Stiftung wird die legendären Kultobjekte des Meisters präsentieren: seine Glaslampe mit dem Pilzkopf, die seit den 70-ern von der Bremer Firma Techno-Lumen nachgebaut wird; das berühmte Tee-Service mit der gläsernen Kanne, in der der Genießer schon in den 30ern die langsame Braunfärbung des Getränks beobachten konnte; Wagenfelds verschließbare Vorrats-Kuben aus Glas. Mit diesen Objekten begann das Engagement des Bauhäuslers für das maschinell gestaltete Produkt.

Auf Wagenfelds erfolgreiche Produktgestaltung gründet sich der Mythos von der Design-Stadt Bremen, an den man hier mit diversen Initiativen anzuknüpfen versucht.

Susanne Raubold