Koalition fährt Schicksals-Linie 4

■ Scherf und Nölle drohten mit Rücktritt / Hemelinger Tunnel, Messehallen und Linie 4 beschlossen gebaut

„Wir haben Dissense, einige Konflikte, aber keine Krise der Koalition.“ Es klang alles so friedlich und nett, was der SPD-Vorsitzende Detlev Albers aus der Nachtsitzung des Koalitionsausschusses über alle strittigen Themen der letzten Monate zu erzählen wußte. Doch so friedlich kann das Zusammentreffen der großen Koalitionspartner nicht gewesen sein, und nett schon gar nicht, denn: Bürgermeister Henning Scherf hat in der Sitzung mit Rücktritt gedroht, falls die CDU bei ihrem harten Nein zur Linie 4 bliebe. Und mit ihm hatte Finanzsenator Ulrich Nölle seinen Abgang angekündigt. Da hatten die ChristdemokratInnen allerdings schon ihre beiden Lieblingsprojekte Hemelinger Tunnel und Messehallen durchgebracht. Die Drohung von Scherf zeigte offensichtlich Wirkung. Nachdem die Delegationen von SPD und CDU in der Nacht zum Freitag noch ohne Ergebnis auseinandergegangen waren, hatten die jeweiligen Partei- und Fraktionsvorstände gestern vormittag noch einmal die Köpfe zusammengesteckt. Und dabei hatte sich die CDU zum Einlenken entschieden. Die Linie 4 soll nun gebaut werden, in veränderter Form, und viele Fragen hinsichtlich der Trassenführung müssen noch geklärt werden. Und CDU-Parteichef Bernd Neumann drohte auch gleich in Richtung Scherf: „Das kann man nicht beliebig wiederholen.“

Die Beschlüsse im Einzelnen: Der Hemelinger Tunnel wird gebaut, wenn auch, so Neumann, „mit deutlich reduzierten Kosten“. Das heißt, genau auf der geplanten Trasse, aber nicht im Maulwurfverfahren, sondern in einer offenen Rinne, die nach der Bauzeit gedeckelt werden soll. Damit soll der Tunnel statt 500 nur 300 Millionen Mark kosten. Neumann: „Auf einer neuen Trassen hätten die Planungen nochmal von vorne beginnen müssen. Der Bausenator kriegt 300 Millionen und nicht mehr.“ Wenn er da mal nicht zu viel versprochen hat, denn die beschlossene Tunnelvariante ist so noch nie konkret durchgerechnet worden. Die betroffenen Grundstücke sind längst noch nicht aufgekauft, von den Privathäusern ganz zu schweigen, die jetzt noch da stehen, wo der Graben gebuddelt werden soll. (s. „Nachgefragt“ S.34)

Die Messehallen sind genau im Stand der letzten Planungen abgesegnet worden. Das heißt, die um 100 Millionen Mark billigere Alternativlösung, die in dieser Woche plötzlich wieder in die Diskusssion gekommen war, ist vom Tisch. Die hätte vom Platzangebot nicht ausgereicht, sagten Albers und Neumann unisono.

Dann ging es allerdings um den Krawallpunkt des Tages, die Linie 4. Den hatte der Senat zwar vor einigen Wochen mit dem Tunnel und den Messehallen in ein politisches Paket zusammengeschnürt, aber das hielt die CDU keineswegs davon ab, nun mit aller Macht die Staßenbahnlinie nach Horn und Lilienthal stoppen zu wollen – bis vor allem Henning Scherf auf die Tonne haute und mit Rücktritt drohte, bis Ulrich Nölle deutlich machte, daß er nur zum gesamten Beschlußpaket stehe. So begannen die beiden Bürgermeister und mit ihnen die Koalition kurz vor Mitternacht zu wackeln, und wackelten weiter bis zur Sitzung der CDU-Fraktions- und Parteivorstände gestern vormittag. Der Koalitionsausschuß hatte sich vertagt.

So schnell wollten die Christdemokraten aber offenbar doch nicht die Regierung gefährden, aber einfach das Feld räumen, das ging wohl auch nicht. Sie stimmten dem Bau der Linie 4 prinzipiell zu, aber: Erstens soll auf der Höhe des Einkaufszentrums Horn auf mehrere hundert Meter Hochpflasterung der Schienen verzichtet werden, was den Verzicht auf Bonner Geld in der Höhe von vier bis fünf Millionen Mark bedeutet. Und zweitens soll für den zweiten Streckenabschnitt auf dem „Langen Jammer“ nach Lilienthal eine Alternativtrasse überlegt werden, damit dort kein „Dauerstau“ (Neumann) entsteht.

„Die Kuh ist vom Eis“, meinte Neumann. Doch ganz in Sicherheit scheint das Rind noch nicht zu sein. In der kommenden Woche, so die Verabredung, sollen die beiden Koalitionsfraktionen das Ergebnis der Beratungen absegnen. Neumann: „Nicht, daß die Beschlüsse hinterher konterkariert werden.“ J.G.