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: Der Savignyplatz (noch einmal)

Dieser Platz ist nämlich weitaus unbarmherziger, als ich dachte: In einem Gedicht einer alten russischen Schriftstellerin wird er sogar mit neuer „Heimat“ assoziiert, ähnlich taucht er auch in Klaus Schlesingers persönlicher Chronik „Fliegender Wechsel“ auf.

Dann erreichte mich ein sehr stilvoller Brief von Hartmut Volmerhaus, Nachfolger des inzwischen gestorbenen „Zwiebelfisch“-Wirts Bernd Fahr, in dem ich noch einmal an meine Schulden beim Savignyplatz-Buchhändler Rilling erinnert und wegen meiner Erwähnung des dortigen Lokalheiligen Oskar Huth kritisiert wurde: „Der Herr behüte uns vor Kolumnisten.“ Kurz zuvor hatte mich bereits der „Zukunft im Zentrum“-Sprecher Raul Gersson zur Schuldentilgung gedrängt. Dabei hatte ich dieses alte Obligo nur erwähnt, um damit kundzutun, daß ich es nicht vergessen hatte – über all meiner andauernden Zahlungsunfähigkeit.

Jetzt erschien ein ganzes Buch mit dem Titel „Savignyplatz“ von Aras Ören (in der früher der Arbeiterbewegung zuarbeitenden „Elefantenpress“). Der in Ehren ergraute SFB-Redakteur hat sein Buch unter anderem. Bernd Fahr und Oskar Huth gewidmet. Deswegen besorgte ich mir sofort ein Rezensionsexemplar. Die beiden Savignyplatz-Hirsche kommen darin aber nur am Rande vor.

Sein deutschsprachiges Debüt gab Ören 1973 im damals noch dem Klassenkampf verpflichteten Rotbuch-Verlag – mit der Gedichtsammlung „Was will Niyazi in der Naunynstraße“. Dieses Buch kostet übrigens heute beim Texttrödler mehr als damals neu. Übersetzt hat es unter anderem Johannes Schenk, der anders als Aras Ören nicht vom Oranienplatz zum Savignyplatz abdriftete.

Auch in der Ost-West-„Chronik“ (die jetzt als „Aufbau“-Taschenbuch wieder aufgelegt wurde und deren Autor, Klaus Schlesinger, es eher vom Savignyplatz nach Kreuzberg, zu den Hausbesetzern, zog) taucht Johannes Schenk auf. Der Zufall wollte es, daß ich zuvor gerade – in Worpswede – mehrmals auf ihn gestoßen war. Johannes Schenk hatte eine tolle Mutter, die dort mit sehr interessanten Männern zusammenlebte. Sein Vater war eine Art Landstreicher, er schrieb mehrere populäre Bücher über Pflanzen und eins über Arthur Rimbaud. 1945 machten ihn die Amerikaner zum Bürgermeister von Worpswede. Er trank sehr viel und verlor bald die Lust am Regieren. Dennoch empfahl sich sein Sohn Johannes – ein gelernter Brunnenbauer, aber 1961 über Fürsprache von Erich Fried als Dichter bei seinen Eltern durchgesetzt – genau 40 Jahre später gegenüber der die US-Besatzung in Worpswede mittlerweile ersetzenden „Künstlerpartei“ erneut als deren „Bürgermeisterkandidat“ – mit der Begründung: Er sei mindestens so trinkfest wie sein Vater.

Johannes Schenk wohnt seit den frühen Sechzigern in Kreuzberg, mit Natascha Ungeheuer zusammen, er hat aber noch einen Wohnwagen in der „Künstlerkolonie am Weierberg“. Seine Lebensabschnitte (und Bücher – auf Vermittlung von Fried alle im Savignyplatz-Verlag „Wagenbach“ erschienen) gliedern sich in Bootsbauphasen und anschließende Fluchten damit. Einmal kam er bis nach Casablanca. Berühmt sind seine Vorträge über Jakob von Hoddis.

Aras Örens „Savignyplatz“ spielt sich nun zwischen dieser ganzen Personage – von Johannes Schenk und der „Naunynstraße“ über Oskar Huth und Günter Bruno Fuchs bis zum „Zwiebelfisch“-Wirt – ab: „Gesichter der Nacht“ am Savignyplatz/ eine „Handvoll Bohemiens aus der Vergangenheit“. Aber sie sind für den Autoren nicht wirklich – so wie zum Beispiel all die Frauen mit bloßem Vornamen oder „platten Brüsten“, „mit Brustwarzen von der Größe getrockneter Pflaumen“ oder der „Busenfreund Paul“. Ich war etwas enttäuscht, aber der Autor hat natürlich recht, auch die türkischmächtige Kulturkritikerin Sabine Vogel würde mir da zustimmen: „Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität!“ Warum aber dann „Savignyplatz“?

Ich zucke jedesmal bei dem Wort zusammen. Helmut Höge

wird fortgesetzt