„Hände weg von der Dose!“

■ Der Umweltwettbewerb „Mini-Müll“ soll Lebensmittelläden ermuntern, ökologischer zu werden. Nur ein Viertel der angeschriebenen Geschäfte nutzte die Chance, das grüne Image aufzupolieren

Eigentlich sieht alles wie immer aus in dem Nobelsupermarkt der Kette Meyer-Beck, tief in Charlottenburg. Doch direkt neben den superhippen Energydrinks auf Taurinbasis warnt ein Schild vor dem Kauf: „Hände weg von der Dose!“ Der Supermarkt hat die Negativwerbung selbst inszeniert – aus Umweltgründen. An der Milchzapfanlage gibt es den Liter Milch, mit naturbelassenem Fettgehalt, unter einer Mark, wenn die eigene Kanne mitgebracht wird.

Für diese und andere Maßnahmen darf sich die Filiale im Halemweg jetzt ein Jahr lang mit dem Gewinn des „Mini-Müll-Wettbewerbs“ brüsten. Der Senat, das Charlottenburger Bezirksamt und das Umweltamt wollten Lebensmittelhändler ermutigen, Verpackungsmüll zu vermeiden und das Sortiment nach ökologischen Kriterien umzustellen. 22 Lebensmittelgeschäfte wurden im Dezember mit einer Plakette belohnt.

Den Umweltwettbewerb „Mini-Müll“ in Charlottenburg haben sich Senatsverwaltung und Bezirksamt 100.000 Mark kosten lassen. Zwei ABM-Kräfte im Umweltamt beschäftigen sich ausschließlich mit dem Projekt. Denn ein Imagegewinn tut den Hauptstädtern not: Sie sind, was die Mehrwegquote betrifft, glanzloses Schlußlicht in der Bundesrepublik. Nur 43 Prozent der Getränke sind in Pfandflaschen abgefüllt – gegenüber bundesweiten 76 Prozent eine Peinlichkeit für die Umweltpolitik Berlins. Und Wahlkampf war auch, als der Wettbewerb vorigen Sommer ins Leben gerufen wurde.

Die Idee für den Wettbewerb stammt aus Hamburg: Seit 1990 gibt es dort die Aktion „Mini- Müll“. Gudrun Pinn vom Umweltverband „Müllnetz e.V.“, die den Berliner Wettbewerb projektierte, berichtet: „Jahr für Jahr haben sich in Hamburg mehr Geschäfte an „Mini-Müll“ beteiligt. 1995 wurde dafür der europäische Umweltpreis vergeben."

Von den hundert angeschriebenen Lebensmittelgeschäften in Charlottenburg beteiligten sich letztlich nur knapp ein Viertel am Wettbewerb. Jutta Sperling vom Umweltamt erinnert sich an den „zähen Prozeß“, die einzelnen Filialen zum Mitmachen zu überreden. „Die großen Geschäfte machen so was natürlich auch aus Eigennutz, nicht nur aus Wohltätigkeit für die Umwelt.“ Die Lebensmittelläden argumentierten, ein weiteres Umweltsiegel würde die Kunden verwirren. Dahinter steht aber, und das sagt Sperling nicht, die Angst vor einem Umwelt- TÜV, den die Firmen nicht beeinflussen können.

Tatsächlich haben die großen Discountketten wie Plus, Penny oder Aldi keine Chance, den Kriterienkatalog des Wettbewerbs auch nur annähernd zu erfüllen. In ihren Regalen stehen wahrste Verpackungswunder, Mehrweg ist fast überall ein Fremdwort. In weiser Voraussicht nahm keine der Ketten an der Imagekampagne teil. Die mittelgroßen Lebensmittelläden schickten meist eine Testfiliale ins Rennen, nur Meyer-Beck nutzte den Wettbewerb, um alle Geschäfte im Bezirk zu ökologisieren. In der zweiten Wettbewerbsgruppe nahmen alle Naturkostläden Charlottenburgs teil. Mit der Erfüllung der Wettbewerbsbedingungen hatten die Ökoläden kaum Probleme.

In Pflicht und Kür teilt sich eine Checkliste, mit der die Lebensmittelläden nachweisen müssen, daß sich müllmäßig etwas bei ihnen bewegt. Dafür wurden Punkte vergeben. Einpacken konnte, wer nicht 100 Prozent der Pflicht und 30 Prozent der Kür erfüllte. Zur Pflicht gehörte die Bevorzugung von regionalen Lieferanten, Mehrwegverpackungen und verstärkte Werbung für die umweltfreundlicher verpackten Produkte. In der Kür konnten Extrapunkte gesammelt werden, wenn Nachfüllpackungen bei Kosmetika und Reinigungsmitteln eingeführt wurden, wenn das Personal ökologisch geschult war, oder wenn auf die ganz fiesen Mini- oder Alu-Verpackungen verzichtet wurde.

Daß sich Umweltbewußtsein auszahlt, ist für den Marketingleiter des Supermarkt-Siegers, Jörg Ridder, keine Frage. „Durch mehr Mehrweg haben wir Kunden dazugewonnen. Dramatischer Anstieg der Kosten? Haben wir nicht gemerkt.“ In seinem Haus wird jetzt beraten, inwieweit das Konzept auf alle 89 Filialen in Berlin und Brandenburg ausgeweitet werden soll. Dennoch: Erste Kundenbefragungen zeigen, daß hauptsächlich die Produkte gut laufen, die es schon länger als Mehrweg gibt, wie Milch und Bier. Kosmetikkonzentrate oder auffüllbare Duschgels haben es da schwerer. „Die 0,33 Liter Mehrwegflasche Cola läuft nicht, obwohl sie direkt neben den Dosen steht“, so Ridder.

Verena Hanke aus dem Naturkostladen „Lylla Dankbar“ sieht die Sache mit dem Wettbewerb kritisch. „Unsere Kunden wissen sowieso Bescheid. Daß wir den Wettbewerb gewonnen haben, bringt nicht automatisch mehr Umsatz.“ Überhaupt sei dem ganzen Wettbewerb eine Peinlichkeit erspart worden, indem die Naturkostläden nicht gegen die Supermärkte direkt antreten konnten. Dann wäre der beste Supermarkt nämlich bestenfalls auf Platz neun – nach allen Naturkostläden – gelandet. Mitmachen würde sie trotzdem noch mal, denn es war „auch der ein oder andere Tip dabei“. Für einige Naturkostläden war der Wettbewerb der Grund, endlich aus der Westberliner Inselmentalität auszubrechen und sich verstärkt nach Lieferanten in den neuen Ländern umzuschauen.

Ob der Wettbewerb noch einmal stattfindet, steht derweil in den Sternen. Eine Ausweitung von „Mini-Müll“ auf ganz Berlin scheint sinnvoll, doch es fehlt am schnöden Mammon. Die Entscheidung pro oder contra könnte bereits in den nächsten Wochen fallen, so die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Umwelt, Mechthild Bülow. „Alleine können wir das aber nicht finanzieren“, fügt sie hinzu. Ein versteckter Hinweis an die Lebensmittelverbände, sich das nächste Mal an dem werbewirksamen Wettbewerb zu beteiligen. Christoph Dowe