Einmal wenigstens betrunken sein

■ Swinging Pakistanis: „Brothers in Trouble“ von Udayan Prasad (Panorama)

Seine Sitar hat George Harrison 1964 bei einem Londoner Trödler gekauft. Das Instrument war gut gebaut, klang interessant und leitete auf „Norwegian Wood“ den Weg der Beatles zur Studioband ein. Live auf der Bühne hätte Harrison das Monstrum gar nicht bedienen können.

Auch in Udayan Prasads „Brothers in Trouble“ hört man neben allerlei Beatmusik manchmal eine wildgewordene Sitar quäken. Das Leeds der Sixties sieht aus der Sicht einiger illegal eingewanderter Pakistanis eher düster aus. Mit 18 Mann hausen sie auf einem Haufen, das Licht bleibt aus Angst vor den Nachbarn stets gelöscht. Gearbeitet wird schwarz in der Wollfabrik, einmal die Woche sonntags kommt eine Prostituierte zur Massenabfertigung. Danach heißt es Kartenspielen, warten und wieder zahlen, an den Mittelsmann, der sie eingeschleppt hat. Zum erhofften Reichtum, für den man die Heimat in Bananenkisten gestapelt verlassen hat, gelangt auf diese Weise keiner. So weit das Gerüst aus Ethno-Studien und Elend in der Fremde. Doch Prasad geht es nicht darum, diese Grundsätzlichkeiten nochmals zu beklagen. Für den englischen Filmemacher waren die Bezüge maßgeblich, aus denen seit den sechziger Jahren eine Generation ohne Commonwealth hervorgegangen ist, die mit den Ursprungsländern wenig anfangen kann.

Diese Biographie beginnt mit der Ankunft der Väter: Das Land ihrer Träume ist feucht und trübe, der Platz zum Leben dort auf eine Matratze reduziert. Doch die Verzweiflung von Amir (Pavan Malhorta) hält nur die erste Nacht an, dann arrangiert er sich mit dem Unbehagen in der neuen Umgebung. Auch für seine Zimmergenossen ist England eher ein willkommenes Abenteuer als die nackte Hölle des Kapitalismus. Der junge Schriftsteller Sakib (Pravesh Kumar) genießt den Nervenkitzel des Exils als Inspirationsquelle, Hussein Shah (gespielt von dem indischen Filmstar Om Puri) hat es bereits zum Nachtwächter gebracht – und zu einer weißen Geliebten, die eines Tages mit in das Männerhaus einzieht. Die Probleme kommen erst, als Mary (Angeline Ball aus „The Commitments“) schwanger wird: Das Kind ist von einem Schwarzen. Shah fühlt sich in seiner Ehre verletzt und zwingt sie, einen Neffen zu heiraten, damit die unselige Beziehung diesem wenigstens die Staatsbürgerschaft sichert. Der junge Mann nur dankt es dem Onkel nicht, sondern paßt sich schneller Land und Leuten an, als der Sippschaft lieb ist.

Gleich nach der Heirat nimmt er sich den Schnauzbart ab und besorgt sich eine Lederjacke. Dann zieht er betrunken mit Mary durch die Pubs und überredet Sakib, es ihnen gleichzutun. Einmal zumindest sieht der Nachwuchswilde dadurch die Welt, von der er gern schreiben würde. Und eine Band spielt „You Really Got Me“. Die nett solidarisierte Gemeinschaft bricht an diesem Frevel vollends auseinander, Shah greift zum Messer, am Ende streckt ihn der Neffe tot zu Boden. In Panik fliehen die restlichen Männer ziellos davon.

Die Verflechtungen, denen man in „Brothers in Trouble“ begegnet, sind so kompliziert wie in Filmen von Hanif Kureishi oder Stephen Frears, bei denen sich Fragen nach Identität längst im Waschsalon bald rosa und bald rot verfärbt haben. Auch Prasad nimmt die Sozialgeschichte der Pakistanis nicht einfach als Leidensweg einer vor sich hin zitternden Außenseiter- Community an – all das sind nur die Standards, mit denen sich selbst der National-Front-Gänger versöhnen läßt bis zum nächsten Asylgesetz. Prasads Figuren hingegen wissen nicht, daß sie kämpfen müssen. Das macht einen Teil der tolpatschigen Komik aus, wenn der Beschützerinstinkt mit den Männern kurz vor der Geburt durchgeht, aber keiner richtig weiß, wie man Hebamme spielt. Tragisch wird es erst, als man in den eigenen Reihen um sich schlägt. Daß es auch dafür durchaus Gründe geben kann, wird dem Regisseur vermutlich an keiner der beiden Fronten Freunde bringen. Harald Fricke

„Brothers in Trouble“, GB 1995, 102 Min., Regie: Udayan Prasad

Heute um 16 Uhr und morgen um 21 Uhr im Filmpalast Berlin