Karriere durch Sockentanz

John Travolta als eleganter Gangster in Barry Sonnenfelds „Schnappt Shorty“ (Wettbewerb), einer Farce über die Mafia im Filmgeschäft  ■ Von Harald Fricke

Man stellt sich das Leben in Hollywood viel zu kompliziert vor. Zum Beispiel John Travolta: Einige halten ihn immer noch für schwul, andere glauben, er ist als Scientologe glücklich und reich verheiratet. Die meisten kennen ihn aus „Saturday Night Fever“ als den besten Eintänzer seit Fred Astaire, die wenigsten hätten an sein Comeback geglaubt. Und weil die Wirklichkeit sich zumeist den Wünschen beugt, ist Travolta von alledem ein bißchen erhalten geblieben. In „Pulp Fiction“ tanzte er auf Socken einen furchtbar pomadigen Sixties-Stil, mied Sex der Interessenkonflikte wegen und mochte am liebsten Surf-Musik, Fritten und Heroin.

Daß Quentin Tarrantino ihn wiederentdeckt haben soll, weil er auf Trash steht, ist auch so eine Legende. „Pulp Fiction“ wurde von Danny De Vitos Firma „Jersey Films“ produziert, die noch während des Drehs mit dem sehr viel kostspieligeren „Get Shorty“ begann. Für die Besetzung der Hauptrolle des kleinen Mafioso Chili Palmer sah sich Barry Sonnenfeld den Rohschnitt des Sockentanzes an und war ebenfalls von Travolta begeistert. Trotzdem versucht „Get Shorty“ nicht, Tarrantinos obsessive Low-Tech-Seventies-Kunst mit einem größeren Budget zu imitieren – er markiert vielmehr den Rahmen, in dem ein solcher Filmemacher erst seine „Pulp Fiction“ ausleben kann.

Als Geldeintreiber gerät Chili Palmer (Travolta) eher zufällig – über den Umweg Las Vegas (das dieses Jahr offensichtlich ein Glam-Revival erlebt) – von Miami nach Hollywood. Das Geschäft mit Schönheit und Schein wird in allen drei Städten durch die Mafia kontrolliert – zunächst etwas bodenständig in Frisiersalons, dann an den Spieltischen der Casinos, und zuletzt ist es eben die Filmbranche, in die der Gewinn rückinvestiert wird. Weil diese Welten sich sehr ähneln, kann Chili problemlos vom Killer zum Produzenten avancieren. Außerdem mag er Kino, seine ganzen Erinnerungen bestehen aus Versatzstücken und Zitaten des alten Hollywood. Stundenlang sitzt er in schwarzweißen Bette- Davis-Filmen und betet gerührt ihre Texte nach.

Der nächste Auftrag führt ihn tatsächlich zum Film. Anstatt dem gescheiterten B-Movie-Spezialisten Harry Zimm – Gene Hackman hat sich für die Rolle ein extra-larges Bugs-Bunny-Gebiß machen lassen – ein Ultimatum für seine Spielschulden zu stellen, schlägt er ihm ein gemeinsames Projekt vor. Das Drehbuch zu „Mr. Lovejoy“ soll aus dem Alltag der Mafia gegriffen sein: Auf der Flucht vor den Gläubigern taucht ein Wäschereibesitzer aus Florida in Las Vegas unter. Zimm, der sich eher auf Monsterspinnen und Wespentaillen versteht, hält den Plot zwar für vollkommen weltfremd, willigt aber ein, um nicht noch mehr als seine Zähne zu verlieren. Er weiß nicht, daß Chili nur wiedergibt, was sich auf seiner Fahrt nach Hollywood gerade erst ereignet hat.

Die Sache verwirrt sich schnell: Der stets um Kontrolle bemühte Ober-Mafioso Ray „Bones“ Barboni (Dennis Farina) reist seinem Handlanger hinterher, und Chili beginnt ein Techtelmechtel mit Karen Flores (Rene Russo), die bislang Hauptdarstellerin in Zimms Trashstreifen war. Sie wiederum ist die Exehefrau von einem gewissen Martin Weir (Danny De Vito), der in dem geplanten Krimi den besagten Helden auf der Flucht spielen soll, während der echte Mann aus der Wäscherei sich wie ein Häufchen Elend die ganze Zeit über in einem Las-Vegas-Hotel versteckt hält.

Auf wundersame Weise schält sich aus dem, was als Vorspiel beginnt, mit jeder Minute ein Stückchen mehr von der Geschichte heraus. Dabei funktioniert „Get Shorty“ nach dem Umkehrprinzip der Verschachtelung.

Je konkretere Formen der Film im Film annimmt, um so weiter löst sich die ursprüngliche Story auf. Irgendwann weiß man nicht mehr, wessen Plot hier eigentlich gespielt wird: Was mit dem Eintreiben von Schulden begann, entwickelt sich zu einer wahren Geldbeschaffungsarie, damit ein Film über das Eintreiben von Schulden gedreht werden kann. Das nötige Kapital für „Mr. Lovejoy“ versucht Chili ranzuschaffen, indem er dem Boss der ortsansässigen Drogenmafia von Hollywood Anteile am Projekt anbietet, während derweil Barboni auf der Suche nach seinem Geld einen der Investoren erschießt. Selbst Zimm kann als Meister des ausufernden Fantasy- Spektakels nur mehr untätig zuschauen, wie sich die Mafia selbst verfilmt und anschließend ermordet. Man hat ihm im Eifer des Gefechts beide Hände zerschossen.

Während also die Wirklichkeit wie wild parodierend über die Fiktion herfällt, bleibt das Zentrum von „Get Shorty“ ungeheuer entspannt. Das liegt an Travolta, der keinen Millimeter von seiner Rolle abrückt und damit alle anderen munter in Bewegung hält. Charmant raucht er seine Zigaretten, grinst vielsagend bis in die flauschig weichen Grübchen, krault sich am Kinn und hilft als grundauf gute Seele noch dem großkalibrigsten Bodyguard wieder auf die Beine, nachdem er ihn halb ohnmächtig geschlagen hat.

Selbst Danny De Vito bringt er mit seinem regungslosen Spiel in Verlegenheit. In einer Szene proben die beiden, wie man sich als Gangster besonders blutrünstig zu gebärden hat. De Vito schnaubt, runzelt die Stirn und grollt mit den Augenbrauen, dann gibt er auf. Travolta aber – er war schließlich vor kurzem noch in der Branche – weiß, daß man in diesem Beruf mit einem Lächeln weiterkommt.

„Schnappt Shorty“. USA 1995, 105 Min. Regie: Barry Sonnenfeld. Mit John Travolta, Gene Hackman, Danny DeVito, Rene Russo

Heute, 20 Uhr, Zoo Palast. Wh. 18.2.: 12 Uhr Royal Palast, 18.30 Urania, 22.30 Uhr International