Wie durchgedrehte Riesensäuglinge

Grauenhafte Sportarten, mit denen uns das Fernsehen quält (XIII): Wenn zwei torkelnde Elefanten ihre Wampen aneinanderrammen – die hohe Kunst des Sumo-Ringens macht sich auf dem Bildschirm breit  ■ Von Albert Hefele

Was ist fetter als ein Schwein,

Und trägt eine Riesenwindel?

Was hebt graziös das Bein?

Wie ein adipöses Kindel?

Zugegeben: Fernsehsender, die nichts anderes als Sport zeigen, haben es nicht leicht. Irgendwann geht ihnen unweigerlich das Material aus. Alle Fußball-, Handball- und Hockeyligen machen einmal Pause. Skifahren ist nicht immer, Tennis langt nur für acht Stunden am Tag, und irgendwann liegen alle Boxer im Koma. Ferrari testet den neuen Zwölfzylinder. Die Turner müssen ausschnaufen, und Eishockey hat premiere gekauft. Was nun? Verzweifelt nagen die Redakteure an den Nägeln. Steinelupfen und Sackhüpfen? American Gladiators ist auch nicht besser. Es müßte etwas Neues sein und doch vertraut, Sport und doch kein Sport. Was zum Lachen und zum Gruseln ... Monstrositäten wären nicht schlecht.

So kam es dazu – so muß es dazu gekommen sein, daß sich eine Leibesübung mit Namen „Sumo-Ringen“ auf dem Bildschirm breitmachen konnte. Breitmachen übrigens im wahrsten Sinne des Wortes. Denn eines sind die Ausübenden vor allem und in erster Linie: fett.

Damit ist keineswegs das leicht eklige, sportlerungemäße Übergewicht gemeint, unter dem manche amerikanischen Tennisspielerinnen leiden. Dieser sanft bebende Hüftring um den Hosenbund, der sich, schweißige Schatten werfend, wie eine heimlich entwendete Lyoner unter dem Trikot abzeichnet. Kindereien. Sumo-Ringer sind auf eine Art und Weise fett, wie man es nur wird, wenn man mit abwesendem Blick unablässig triefende Haufen von Pommes frites an Majosoße in sich hineinstopft. Schwer schlingend und krampfhaft nach Atem ringend. So fett sind SumoRinger. Fett auf eine überhebliche Art und Weise, wie schlecht gelaunte und bösartige Kinder mit zu kleinen Mützen.

Zu ihrer Entschuldigung muß man freilich anführen, daß beachtliches Übergewicht zu ihrem Beruf gehört. Die Suomori leiden an keinerlei Drüsenfunktionsstörungen oder fressen einfach gerne; sie müssen. Es ist nämlich eine Tradition und etwas Besonderes. Darum scheinen sich die den Sport Ausübenden auch tatsächlich etwas darauf einzubilden, wenn sie wie zwei kleine Elefanten aufeinander lostorkeln und ihre Wampen aneinanderrammen. Sich zappelnd und hampelnd wie durchgedrehte Riesensäuglinge an den zeltgroßen Windeln durch den Ring zerren.

Sport? Naja. Man erinnere sich an Wilfried Dietrich und dessen olympisches Duell gegen einen gewaltig aufgequollenen Amerikaner namens Chris Taylor anno München 72. Der Kran von Schifferstadt verlor den Kampf, weil sich sein Gegner einfach auf ihn drauflegte. Dessen Übergewicht wurde damals mit Bronze belohnt. Also doch Sport.

Beim Sumo-Ringen sind zumindest beide Parteien vergleichbar fett, und es besteht von daher keine gravierende Wettbewerbsverzerrung. Mit etwas gutem Willen kann man auch das Aufeinandertreffen von Fett und Kraft und männlicher Aggression irgendwie imponierend finden. „Beeindruckendes Schauspiel“ und so weiter ... Mit Sicherheit völlig unentschuldbar und nichts als gähnend langweilig aber ist das ewig gleiche Getue, bevor sich die Kolosse an die Windeln gehen.

Man stapft angeberisch in den Ring, man läßt das Auge verächtlich auf dem Kontrahenten ruhen: „Was willst denn du, windiges Zigarettenbürscherl?“ Man wirft eine Handvoll Salz in den Ring. Oder Reis? Man hebt abwechselnd das Bein wie ein inkontinenter Bernhardiner. Tradition, Tradition! Die wirklich immer, wenn es einigermaßen interessant zu werden verspricht, zuverlässig ihr schimmliges Haupt erhebt. Kaum sacken die Dickmänner in Kampfstellung, und es scheint eine Kleinigkeit lebendiger zu werden auf dem Screen, taucht ein altjapanischer Miesmacher in Glitzerkutte auf und hat was dagegen. Zeigt den Ringern beleidigt die dürre Schulter. Es ist der Ringrichter, strenger Hüter der Regeln und Wichtigtuer von hohen Graden. In der Hand hält er eine Art Tischtennisschlägerchen, das er bedeutsam dreht und wendet. Vielleicht handelt es sich auch bloß um einen Spiegel, in dem er seine schadhaften Zähne kontrolliert?

Wie auch immer: Er sagt, wo's langgeht. Und so müssen die dicken Buben ein ums andere Mal hinkauern und wieder aufstehen.

Imponieren und Salz werfen. Das dauert und dauert. Die Frage muß erlaubt sein: Ist das noch Tradition oder lediglich ein perfider Vorwand um Werbeeinblendungen Platz zu schaffen? Legitime Steigerung von Spannung und Konzentration? Oder nur der durchsichtige Versuch, die sich anschließenden dreißig Sekunden Kampf etwas zu strecken?

Es heißt, in Paris zum Beispiel würden sich die Menschen vor Begeisterung bepinkeln angesichts der Sumo-Ringer. Frauen besonders. Erotik sei im Spiel. Sehr befremdlich. Drei Zentner Fett in der Windel dürften allenfalls einen wie auch immer gearteten Mutterinstinkt mobilisieren. Aber Erotik? Es sei denn, es ist wieder mal ein Trend unterwegs, von dem unsereins nichts mitgekriegt hat. Wäre nicht das erstemal.

(Fragment eines sich noch im Werden

befindlichen Gedichtes über Sumo-Ringer)