„Darf man sich noch als Neger verkleiden?“

■ ... fragt irritiert ein SPD-Stadtrat in Neustadt. Denn in der Schwarzwaldgemeinde rumort's. Das beliebte Fasnetsduo „Kuddle und Wäggele“ ist am Kappenabend über Asylbewerber, Italiener und Rußlanddeutsche hergezogen – seitdem ermittelt der Staatsanwalt

Die Schnitzel auf den Tellern sind groß wie Metzgerhände. „Den Grünen“, findet einer zwischen zwei Bissen, „müßte man bei Nacht auflauern, Sack über den Kopf, Hose runter, Knüppel und drauf“. Es wird gelacht in der Runde. Man belustigt sich an dieser Vorstellung.

Tische, Stühle, Boden, Wände – alles ist aus Holz. Auch die niedere Decke der Gaststube und die handgeschnitzten Fastnachtsmasken an der Wand. Der Kachelofen bollert, man kann hier schön auftauen nach der bitteren Kälte draußen. Drüben am Stammtisch hat man es gemütlich. Widerspruch gibt es keinen, als gesagt wird: „Bei uns hier hat ja noch gar kein Asylantenheim gebrannt, aber jetzt müssen sie sich nicht wundern, wenn bald grüne Hütten brennen.“

Im Gegenteil. Die Stimmung ist brenzlig in Neustadt. Vor zwei Wochen haben drei grüne Stadträte Strafanzeige gegen das beliebte Fasnetsduo „Kuddle und Wäggele“ gestellt. Der Vorwurf: „Verächtlichmachung und Diskriminierung“ von Ausländern. Tatort: Der „Neustädter Hof“ beim Kappenabend der Narrenzunft.

Das Beweismaterial – ein Videoband plus Textblatt – liegen bei der Staatsanwaltschaft Freiburg unter Verschluß. Keiner der 450 Besucher der Veranstaltung kann sich noch ganz genau an die Ereignisse erinnern – kein Wunder bei der Stimmung und dem Alkohol. Sicher ist nur, daß das fröhliche Narrentreiben des Duos zur derben Hatz auf Ausländer wurde. Der Freiburger Oberstaatsanwalt Peter Fluck verweigert der Presse die Einsicht: „Volksverhetzende Texte sollten nicht öffentlich gemacht werden.“

Seitdem brodelt es hinter den hübschen Fassaden der 12.000-Einwohner-Gemeinde. Nur von außen wirkt alles wie immer. Kein Riß am blauen Postkartenhimmel, der sich am Vormittag über das idyllische Schwarzwaldstädtchen spannt. Keine Barrikaden vor dem Narrenbrunnen, hinter denen sich wildgewordene Maskenträger verschanzen.

Ordentlich ist alles und propper herausgeputzt. „Man muß die Kirche im Dorf lassen“, hat Bürgermeister Martin Lindler eindringlich gemahnt – mit Erfolg, wie sich Besucher überzeugen können.

Schräg gegenüber im Rathaus ist der Sessel des Chefs verwaist. Martin Lindler macht Kururlaub vom Schwarzwaldkurort. Mit den Ereignissen der letzten Tage hat das nichts zu tun. Den Kappenabend der Narrenzunft hat er noch persönlich miterlebt. Mehr als die Hälfte des närrischen Publikums hatte dort geklatscht, gejubelt und gejohlt, als das Narrenduo mit seinen Schmähgesängen über Asylbewerber, Italiener und Rußlanddeutsche kam; Textprobe: „Liegen lieber auf ihrer Olga, als zu schaffen an der Wolga.“ Nur wenige hatten während des Vortrags betreten den Saal verlassen.

Am Honoratiorentisch in der ersten Reihe, wo sich neben Lindler der SPD- Landtagsabgeordnete Haas und diverse Stadträte einen lustigen Abend machten, bewies man dagegen Sitzfleisch. Jetzt ärgert sich der Bürgermeister bei der Kur am Bodensee, „daß das Thema so hochgespielt wird, nur weil ein paar Grüne sich auf Kosten der Narren profilieren wollen“.

Lindlers Urteil zu den Hetzgesängen von Kuddle und Wäggele: „Reine Geschmackssache“. Sein mahnender Ratschlag zur laufenden Debatte: „Man sollte Neustadt jetzt keinen Stern anheften.“

Man kommt derzeit mit vielem etwas durcheinander im Schwarzwäldle-Narrennest. Auch Bürgermeister Lindlers Sinne für Geschmack und Geschichte sind in keinem guten Zustand: Angeheftete Sterne trugen auch im Schwarzwald bisher nur verfolgte Juden und nicht die schweigende oder johlende Mehrheit. Und die Lieder von Kuddle und Wäggele sind nach erster Einschätzung der Staatsanwaltschaft keine reine Geschmackssache, sondern enthalten auch „objektiv volksverhetzende Passagen“.

Die weiteren Ermittlungen sind aufgenommen worden. Für Kuddle, der im nicht närrischen Leben Andreas Decker heißt, ist das keine schöne Sache. Er arbeitet als Polizist in Neustadt. Nun droht ihm ein Disziplinarverfahren und Karriereknick. Verreist ist er nicht, aber eigentlich auch nicht zu sprechen, sagt er am Telefon. Schwebendes Verfahren, erst mit dem Anwalt beraten – der närrische Polizist macht keinen glücklichen Eindruck. Entschuldigung? „Wieso soll ich mich im Vorhinein für etwas entschuldigen“, sagt er, „was ich vielleicht gar nicht getan habe?“

„Überfällig“, sagt Karin Katz-Hör, „deutlich überfällig“ ist auch eine Entschuldigung der Narrenzunft. Die resoluten Sätze zur Sache münden bei der SPD-Stadträtin grundsätzlich in ein „aber“. „Aber“, sagt Karin Katz- Hör, „die Strafanzeige ist der Sache nicht angemessen.“ Zur Verstärkung hat die SPD-Frau ihren Mann mitgebracht. Klaus Hör ist Lehrer und DGB-Funktionär, trägt Vollbart und hat einen Kugelbauch.

An Degenhardt-Songs kann er sich noch besser erinnern als seine Frau an die Kuddle-und-Wäggele-Lieder. Karin Katz- Hör saß mit am Bürgermeistertisch. Und, doch ja, „zu Tode erschrocken“ sei sie über die ganzen Sachen, die ihr jetzt nicht mehr einfallen, über dieses „üble Sammelsurium von Argumenten gegen Asylbewerber“. Aber: „Man hat die Narren doch auch in die Enge getrieben mit dem Schrei nach der Staatsanwaltschaft.“

Wenn Frau Katz-Hör in die Enge gerät, versucht Klaus zu helfen. Mit seinem Unsinn versucht er, von ihrem abzulenken: „Gibt es, wenn man bei Mainz, wie es stinkt und kracht, nicht auch einiges, was man beanstanden könnte?“ Gewiß. „Und darf man sich eigentlich überhaupt noch als Neger verkleiden an Fasnacht?“ Das fragt nicht Klaus Hör, sondern der knapp gescheiterte Bürgermeisterkandidat und SPD-Stadtrat Roland Weiß in einem Beitrag der Lokalpresse. Auch die Neustädter Sozialdemokraten proben den närrischen Schulterschluß.

Eine doppelt verkehrte Welt. Jetzt sollen also die armen Narren in die Fänge humorloser Wortklauber geraten sein. Für Kay Bochmann-Riess, den stellvertretenden Rektor der Neustädter Hebel-Schule, hat das längst nichts mehr mit Narretei zu tun: „Das Schlimme an der ganzen Geschichte ist doch, daß nicht die Verfasser des Liedes als Nestbeschmutzer dastehen, sondern diejenigen, die gegen solche Stammtischgesänge Einspruch erheben.“

Solche Töne hört man nicht gern in Neustadt. Eigentlich will man gar nichts mehr hören von der ganzen Sache, die doch nur den Kurort in Verruf bringt. Man hat schließlich genug Sorgen, nachdem die Schraubenschlosserei pleite gemacht hat und demnächst vielleicht auch die Arbeiter aus der Papierfabrik auf der Straße stehen.

Bochmann-Riess kennt diese Ängste. Arbeitslosigkeit, Fremdheitsgefühle, die Sorge um die eigene Zukunft. Aber er kennt auch die Probleme seiner ausländischen Schüler. Das oft feindselige Verhalten ihrer deutschen Mitschüler. „Wir sind verpflichtet, diese Kinder vor fremdenfeindlichen Angriffen zu schützen“, sagt er, „auch vor verbalen.“

Das Kollegium der Hebel- Schule entschied sich für ein deutliches Signal: Sollte sich die Narrenzunft bis zum Beginn der tollen Tage nicht öffentlich von den rassistischen Zoten ihres Parade-Duos distanzieren, wollte man den „Gägs“ bei der traditionellen Befreiung der Schüler am „Schmutzige Dunschdig“ den Zutritt zur Schule verweigern.

Den Neustädtern hat diese Drohung gar nicht geschmeckt. Das hat es in der Geschichte der örtlichen Narretei bislang noch nicht gegeben. Zumindest nicht seit 1934. Damals hatte man beschlossen, sich gegen den Einfluß des rheinischen Karnevals wieder auf die „echte alemannische Volksfasnacht mit ihren bodenständigen Gebräuchen“ zu besinnen. Die Reihen zwischen Plätzler, Waldgeist und Wiedewiebli, den alten Neustädter Narrenfiguren, blieben von da an fest geschlossen.

Heute ist die Neustädter Narrenzunft mit über 1.000 Mitgliedern der größte Verein der Gegend. Wie ernst man es mit dem Brauchtum noch immer nimmt, haben inzwischen auch diejenigen zu spüren bekommen, die sich in Leserbriefen über den Auftritt von Decker und Brauner empörten. Zum Beispiel die Schülerin Valerie Menner. Noch als Kuddle und Wäggele auf der Bühne standen und der Saal sich gerade mit dem „Narrebrunne-Lied“ über die gespannte Atmosphäre hinweg ins Finale schunkelte, wollte sie zusammen mit ihren Freundinnen die Sänger zur Rede stellen. „Die haben uns gleich abgewimmelt: An Fasnacht sei Kritik doch erlaubt.“

Kritik? Die Schülerin schüttelt den Kopf. Noch das dumpfeste Ressentiment darf sich zur Narrenzeit als legitime Meinung ausgeben. Und wer dagegen aufmuckt, das weiß man in Neustadt, der steht am Ende ziemlich alleine da: „Jeder“, hat Valerie Menner erlebt, „sagt, daß er nichts sagen kann, weil er Angst hat, ausgeschlossen zu werden.“ Nachdem Valerie und drei Freundinnen auch noch in einem Leserbrief über die bierselige Negerwitzlaune im „Neustädter Hof“ geklagt hatten, ließ man sie wissen, daß man sich ihre Namen gemerkt habe. Die Mädchen sollten aufpassen, ansonsten würden sie es „knüppeldick“ zu spüren bekommen.

Jetzt ist die 18jährige doppelt sauer. „Ich will niemanden die Fasnacht vermiesen“, sagt sie. „Aber wenn jemand neben mir aufsteht, laut über rassistische Lieder lacht und ruft: Mehr! Ich will mehr davon!, da muß man doch was sagen.“

Auch Valeries Vater Klaus Menner, Stadtrat der „Bürgerliste“ und stellvertretender Bürgermeister, bekam in den letzten Tagen ungebetene Post. Drohbriefe von namenlosen Narren. Und von der „Nationalen Front“ – abgestempelt in Neustadt. Menner hatte sich in einem Leserbrief gegen die närrische „Traditionspflege als Tradierung braunen Gedankengutes“ gewehrt und die ausländischen Bürger der Stadt um Entschuldigung gebeten. „Mit unserer Position sind wir hier klar die Ärsche“, sagt Valerie. „Da muß man mit leben.“

Nur manchmal ist das leichter gesagt als getan. Willi Sutter, einer der grünen Stadträte, die Strafanzeige erstattet haben, kann davon ein Lied singen. Hier in der Gegend ist er aufgewachsen, in Neustadt lebt er seit mehr als zehn Jahren und auf Fasnet hat er sich immer gefreut. Aber noch jetzt überkommt ihn das kalte Grausen, wenn er an den Kappenabend zurückdenkt. Auch wenn sich Kuddle und Wäggele inzwischen auf anwaltliches Raten öffentlich entschuldigt haben.

Nicht allein die bösen Lieder der zwei – vor allem die Reaktion im Saal – hat Willi Sutter erschüttert: „Nein“, sagt er, „ehrlich, nie im Leben hätte ich sowas hier bei uns für möglich gehalten. Wie die Mehrheit sich begeistert dahinter gestellt hat.“

An allen Ecken und Enden der Stadt hat er in den vergangenen Tagen gespürt, wie ihm die Feindseligkeit entgegenschlägt. Menschen, mit denen er früher ein paar freundliche Sätze geredet hat, haben die Straßenseite gewechselt, wenn er ihnen begegnet ist.

Willi Sutter ist einer, dem ins Gesicht geschrieben steht, daß er gerne viel Spaß hat im Leben. Auf die Frage: „Wie geht's“, sagt er: „Arm ab, Bein ab, ein Auge fehlt“. Und eher beiläufig kommt dann noch, daß er gestern fast den ganzen Tag geheult hat – „aber halt auch, weil ich körperlich so fertig war von allem“. Willi Sutter hat in diesen Tagen auch schon mal gezweifelt, ob es die richtige Entscheidung war, Anzeige zu erstatten. Hier nach Neustadt gehört er doch, und hier will er auch bleiben. Und plötzlich hat er diesen Druck im Bauch gespürt und die Angst.

Auf dem Bau arbeitet Willi Sutter mit einem Kollegen zusammen, der Asylbewerber ist. Der hat immer Angst – weil Abschiebung droht. Einmal hat er seinen deutschen Kollegen die Narben an den Beinen gezeigt, die von Folterungen in der Heimat stammen. Sutter sagt: „Wenn ich daran denke, weiß ich wieder, daß es richtig war aufzustehen.“ Ulrich Fuchs und

Dietrich Roeschmann