Wand und Boden
: Von Schnittblumen und Einschußlöchern

■ Kunst in Berlin jetzt: Frauke Schlitz, Michael Heizer, Piotr Nathan, Daniel Spoerri

Vor drei Jahren standen die „Plastischen Arbeiten“ von Frauke Schlitz betonschwer auf dem Boden des Martin-Gropius- Baus. Der uns allenthalben umgebende Werkstoff rückte dem Betrachter in Form eines „Mantels“ dicht auf die Pelle. Heute hängen Schlitz' „Plastische Arbeiten“ in strenger Reihenfolge an der Wand, und die Besucherin vor der SOMA Schaufenstergalerie ist auf Distanz gehalten.

Als „Kopf / Beuge / Ärmel / Rumpf / Haar“ hat Frauke Schlitz ihre in prekärer Balance schwebenden oder hängenden Kunstkörper identifiziert. Ein parabolisches Gebilde möchte man gerne als dichten, dicken Haarschopf begreifen, denn sonst ist der dezentrierte Körper schwer zu fassen. Aber gerade deshalb interessiert diese unwahrscheinliche Form. Zwei zartrosa gefärbte Tüten hängen am Stahlseil über zwei stählerne Haken, zwei Zwillingskörper, die aufeinander zustreben, sich aber nicht berühren. Fallen sie mit Wucht nach unten oder pendeln sie nicht fast schwerelos am Draht? Gar nicht so leicht zu entscheiden, auch oder gerade weil die Hängung in ihrer Technik transparent ist. Das macht die Sache spannend.

Bis 10. 3. durchgehend, Ohlauer Straße 38/40

Für schwere, mächtige Erdarbeiten, Grabungen riesigen Ausmaßes in den Wüsten von Nevada und Kalifornien, aber auch in der Neubauwüste Neuperlachs („Munich Depression“, 1969) ist der amerikanische Künstler Michael Heizer berühmt geworden. Der negativen Form, der Aussparung, der „void“, die Daniel Libeskind in den 80er Jahren zu seinem architektonischen Thema machte, galt Heizers Faszination schon in der Land art der 70er Jahre. Auch seine Malerei aus dieser Zeit prüfte das Verhältnis von Masse, Raum, Leere. Auf großen Formaten, „Untitled a 1 (Red Brick)“, „a 3“ oder „a 5“, heben sich dichte schwarze oder lichte rote Latexrechtecke von weißen, blassen, randständigen Feldern empor. „Schlagt die Weißen mit dem roten Keil“ lautete einstmals El Lissitzkys revolutionäres Motiv. Heizers „Russian Constructivist Painting“ (1974) dreht das um. Aber seine „Arbeiten 1972–1976“ bei Franck + Schulte zeigen, daß Natur und Amerika nicht Konstruktion, sondern Konzept ergibt. Die Wüste ist Heizers bedeutendster Fall.

Bis 9. 3., Mo.–Fr. 11–18, Sa. 11– 15 Uhr, Mommsenstraße 56

Daniel Spoerri vermaß einstmals, 1962, ein anderes Feld – das seiner Tischplatte. In 80 Nummern listete Spoerri alles auf, was er auf seinem Tisch fand, zeichnete einen Lageplan der Objekte und vermerkte möglichst akribisch die Umstände, wie die Sachen auf eben jenem Tisch gelandet waren. Am Schluß kam mit Hilfe seines „lieben Freundes Robert Filliou“ eine dünne Broschüre heraus, die „Topographie anecdotée du hasard“, die sofort zum Kultbuch wurde.

1964 erschien die Topographie in Holland. Für die englische Ausgabe 1966 nahm sich ihrer Emmett Williams an. Der hatte dann viele Fragen, Anmerkungen und Anekdoten, und so stapelte sich Fußnote auf Fußnote. Roland Topor beschränkte sich auf sinnfällige Illustrationen. Aber kaum übersetzte Dieter Roth die Topographie 1968 für den Luchterhand Verlag ins Deutsche, wuchs und wucherte sie auch schon wieder. Dann erschienen etliche Reprints, und jetzt wurde die englische Ausgabe von 1966, um Roths Anmerkungen ergänzt, beim Londoner Atlas-Verlag wieder aufgelegt.

Nr. 71 blieb ein rostiger Nagel und Nr. 74 eine Heftklammer, nicht mehr oder nicht weniger. Aber Nr. 80, eine brennende Zigarette, bekam drei Anmerkungen; a) eine Verlegernote von 1966, die Illustration sei durch das sorgfältige An-/Verbrennen des Buches zustande gekommen; b) fragt Dieter Roth 1968, „welches Buch“ und c) sagt Emmett Williams 1995, das sei eine gute Frage, und überhaupt sollte man dieses Bücher-verbrennen-Syndrom bekämpfen. Deshalb hat Wiens Laden & Verlag das Gedeihen der Topographie in allen Phasen aufs Schönste dokumentiert.

Bis 31. 3., Di., Mi., Fr. 13–18, Do. 14–20, Sa. 11–14 Uhr, Gleditschstraße 37

Auch Piotr Nathans „Stack of Diaries“ bei Contemporary Fine Arts offeriert eine biographische Landschaft. Der Charme hat merklich nachgelassen seit dem Beginn der künstlerischen Alltagsspiele in den 60ern. Aber heute gibt es auch wenig Grund für unbeschwert f/luxurierende Kunst. Das macht Piotr Nathan deutlich. Die Freunde sterben an Aids, und die Erotik baut auf kriegerischem Grund: Rosige Tonscherben mit kleinen, erhabenen Nippeln sind tatsächlich Abgüsse von Einschußlöchern in Berliner Mietshauswänden. Sie markieren in den Galerieräumen ein durchgängiges Muster. Dazwischen verschwimmen Nathans Tuschzeichnungen von „Arndt“, „Detlev“, „Frank“ oder „Michael“ hinter dem weiß eingefärbten Glas des Rahmens ins Zarte und Ungefähre. Das zeichnerische Studium von Schnittblumen wiederholt diese Meditation des Verschwindens auf andere Weise. „Stack of Diaries“ versammelt Zitate aus früheren Ausstellungen und Installationen und reiht sie nacheinander an die Wand. „Snowflakes“, die Schattenrißplastiken aus Schallplatten, die Tapetenteller aus „Ein in Eile verlassenes Haus“, ein buntgestreiftes Teppichbild „Der Faden in die Navajo-Nacht“, das Bild des „Selbstmörderhaus“, aus dem sich die Menschen zuhauf nach unten stürzen. Der Übergang von plastischen Objekten zu Zeichnungen, von Malerei in die fotografische Reproduktion ist fließend. Der Alltag macht alles zum Material, das Nathan wieder und wieder umwälzt, bearbeitet, betrauert, bedenkt.

Bis 29. 2., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–15 Uhr, Tauroggener Straße 15 Brigitte Werneburg