■ Der Tanker von Wales und das Sterben der Ökosysteme
: Telegene Katastrophe

Das Tankerunglück vor Wales ist eine attraktive Ökokatastrophe. Zunächst kann man den ZuschauerInnen ein auf Grund gelaufenes Schiff vorführen, später schaukelt ein Ölteppich auf den Wellen. Männer von der Küstenwache kämpfen gegen die Naturgewalten – die Winterquartiere von Robben und Vögeln sind bedroht. Vielleicht findet sich bald noch ein ölverschmierter Papageientaucher, der vor den Augen des Fernsehpublikums elendig verreckt. Und das alles nicht weit von uns entfernt. Schade nur, daß der

Kahn so schnell wieder flott war. Ansonsten erfüllt

das Unglück vor Wales nämlich sämtliche Voraussetzungen, um umweltpolitische Betroffenheit auszulösen.

Zunächst einmal: Es gibt etwas zu sehen. Während die tägliche und ökologisch weitaus bedenklichere Vergiftung der Nordsee durch Rhein, Elbe und Themse unsichtbar geschieht, ist hier der Schadstoff deutlich zu erkennen. Gefährdete Robben und Vögel finden immer die Aufmerksamkeit von Journalisten. Langsam verschwindende Fischarten oder gar Mikroorganismen hingegen vermögen kaum Engagement anzuregen. Auch die dahinsiechenden Wälder haben dieses Problem. Das Zusammenbrechen von Ökosystemen dauert einfach zu lange und ist zu komplex. Die Ölkatastrophe ist dagegen zeitlich und örtlich begrenzt. In drei Tagen kann man sich wieder anderen Ereignissen zuwenden.

Zum zweiten: Das Unglück scheint dank technischer Hilfsmittel beherrschbar. Absaugschiffe und Ölbarrieren kommen zum Einsatz, der Mensch muß notfalls die Küste säubern. Natürlich wird nicht alles zu beheben sein – sonst wäre es ja keine Katastrophe und damit wieder uninteressant. Aber letztendlich wird nur das angenehm-gruselige Gefühl bleiben: Es hätte auch schlimmer kommen können – noch einmal geschafft. Grundsätztlich muß sich nichts ändern. Auch hier sind Klima, Wald und aussterbende Arten im Nachteil: Nur eine Lebensstiländerung könnte eine Wende bringen – wenn überhaupt. Die Bedrohung ist permanent und global. Schlechte Voraussetzungen für ein Medienthema.

Und der dritte Vorteil von Tankerunglücken: Der Kreis der Schuldigen scheint klar benennbar zu sein. Ob ein betrunkener Steuermann oder ein verantwortungsloser Reeder – in jedem Fall sind es „die anderen“, die unsere Umwelt versauen. Daß die nur durch die Gegend schippern, damit wir Sprit und Heizöl haben, wird fast nie zum Thema. Beim Waldsterben und Treibhauseffekt aber läßt sich nicht verschweigen, daß unsere Liebe zu Auto und Flugzeug Ursache der Katastrophe ist. Annette Jensen