■ Ökolumne
: Freispruch für Ballermänner Von Thomas Worm

Nur ein einziger nuklearer Feuerball tut den meisten wirklich gut. Die beiden unübersehbaren Vorzüge der Sonne: Sie ist 150 Millionen Kilometer entfernt und nicht von Menschenhand gezündet. Diese Einsicht ist nun auch in der internationalen Staatengemeinde gereift. Bis zum 30. Juni soll ein Vertragsentwurf über das weltweite Verbot von Atomtests vorliegen und das Dokument noch vor Jahresende von sämtlichen Regierungen unterzeichnet sein. Die Ächtung aller Kernwaffenversuche steht – schon – nach 51 Jahren und über 2.000 Atomexplosionen bevor. Adieu la bombe! Schluß mit radioaktiven Wolken, mit ungenehmigten Endlagern, die aus rissig gebombtem Gestein hervorstrahlen, mit monströsen Föten, die leblos in Formaldehydgläsern schwimmen. Endlich vorbei.

Doch gibt es da einen kleinen Schönheitsfehler. Die Herren Chirac, Clinton, Jelzin, Li Peng, und Major, deren Länder 99,9 Prozent jener infernalischen Big Bangs gezündet haben, wollen von einer völkerrechtlich verbindlichen Wiedergutmachung der von ihnen angerichteten Schäden nichts wissen. Im Teststoppvertrag ist keinerlei Haftungsklausel zur Verseuchung von Himmel, Wasser und Erde vorgesehen. Allein im Pazifik sind nach UNO-Schätzungen bis 1980 etwa 15.000 Menschen an der Verstrahlung zugrunde gegangen. Warum nicht die nuklearen Ballermänner belangen?

Politische Beobachter warnen davor, die Hürden für den Teststoppvertrag zu hoch aufzutürmen. De- facto-Atomwaffenstaaten wie Indien, so das Argument, sperrten sich ohnehin schon gegen den Vertrag. Und China bestehe auf Kernexplosionen „für friedliche Zwecke“. Pekings greise Modernisierer möchten Atomsprengsätze als Mega-Dynamit etwa im Kanal- oder Bergbau einsetzen. Ganz auf der Höhe der Zeit. Ohne sich auch nur enfernt bezahlt zu machen, ruinierten bereits vor etlichen Jahren entsprechende sowjetische Bombenexperimente weite Landstriche.

Das mag nun alles Verhandlungspoker der chinesischen Führung sein oder nicht, der Erfolg des Teststoppvertrags jedenfalls darf nach dem Wunsch seiner Befürworter keinesfalls gefährdet werden. Deshalb bestehen auch nirgendwo einflußreiche Politiker auf Schadenersatz durch den atomare Fünfer-Club, dessen kalte Krieger so lange heiß waren auf Flammenpilze. Realitätssinn macht zuweilen zynisch.

Der Freispruch der Ballermänner funktioniert nur, weil der Lebensraum vieler Testgeschädigter von kleineren, indigenen Völkern bewohnt wird, von Nenetz auf Novaja Semlja, von Uiguren um Lop Nor, von Maohi auf Tahiti oder Aborigines bei Marlinga. Rund um den Planeten streuten Hunderte von tödlichen Glutwolken die tückischen Keime für Leukämie, Tumore, Mißbildungen. Aus Heimatboden wurde verbotene Erde. Die Ärzte gegen den Atomkrieg rechnen mit 2,5 Millionen Toten durch die Atomtests.

Aber wie solche Statistiken einklagen, wenn im konkreten Fall eine Ursachenkette niemals nachgewiesen werden kann? Die Zahlen haben allenfalls moralischen Werte. Dennoch hat die US-Regierung auf öffentlichen Druck hin für die von ihr verstrahlen BewohnerInnen der Marshallinseln eine bisher einmalige Entschädigungsregelung geschaffen. Wer an einer typischen Folgekrankheit von Atomversuchen leidet, zum Beispiel Schilddrüsenkrebs, muß ihren Zusammenhang mit den Tests nicht beweisen und erhält trotzdem zumindest eine Entschädigungssumme. Damit haben sich die USA wenigstens im nachhinein zu ihren „Dirty shots“ auf Bikini und Eniwetok bekannt.

Öko-Pionier Jacques Chirac, der sich das Ende von Frankreichs Atomwaffentests auf seine Fahnen schreibt, könnte – unterstützt von „europäischen Freunden“ – zeigen, wie ernst er es meint. Soll er dem Fünfer-Club doch vorschlagen, im Teststoppvertrag für das atomare Zündeln staatsmännische Verantwortung zu übernehmen. Denn die Ballerei ist vielleicht schon bald vorüber, die Wiedergutmachung an Menschen und Umwelt noch lange nicht.