Sanssouci: Vorschlag
■ Absturzgefahr: Ibsens „Baumeister Solness“ im Gorki-Theater
Ragnar, Solness und die wilde Hilde Foto: Thomas Aurin
Vom Höhepunkt seiner Karriere blickt der Baumeister Solness furchtsam hinab. Er hat im Leben alles erreicht, weil er stärker und rücksichtsloser war als die anderen. Aber während Solness fast abergläubisch auf die Macht seines Willens baut, schwindet sein Wille zur Macht: Die Jugend, weiß er, wird ihn beiseite drängen, so wie er es mit den Älteren gemacht hat. Und die Jugend klopft tatsächlich an seine Tür und ist bezaubernd, aber tödlich. „Baumeister Solness“ von 1892 gilt als Ibsens am stärksten autobiographisches Stück. Verschiedene sehr junge Frauen, mit denen Ibsen befreundet war, verschmolzen zur Gestalt der Hilde Wangel, die den Baumeister durch ihre willensstarke Verehrung zu neuen Höhenflügen, zum Absturz treibt.
Der Regisseur Arie Zinger ist bekannt für seinen Blick auf die Lücken und Bruchstellen eines Textes. Bei ihm ist nicht der alternde Mann die Hauptfigur, sondern das junge Mädchen, das sonst oft als überdrehter Backfisch abgehandelt wird. Unter all den erstarrt dahinvegetierenden Menschen ist Hilde die einzige, die wirklich lebt. Wie ein Lichtstrahl kommt Emanuela von Frankenberg hereingehuscht, raumgreifend vital und doch kein bißchen outriert. Klaus Manchens Baumeister, der sich selbst im Jähzorn noch zurücknimmt, lernt von ihr neue Lebenslust. Wenn Hilde mit einer einzigen Bewegung voll schlaksiger Grazie die Bücher vom Regal fegt, dann erstarrt Solness eine Schrecksekunde lang, atmet befreit auf, holt weit aus und macht es ihr nach. Selbst Aline Solness (Monika Lennartz), die innerlich erstorbene Frau, die nur noch einem starren Pflichtideal lebt, läßt sich von Hildes Übermut anstecken. Es ist rührend und ein bißchen komisch anzusehen, wie sich die Dame im korrekten Schneiderkostüm plötzlich platt auf die sonnenwarme Veranda legt, so wie sie es bei ihrer jungen Besucherin gesehen hat.
Die übrigen Figuren werden dagegen von der Regie vernachlässigt: Exintendant Albert Hetterle wird als Solness' früherer Chef Brovik zur Knurrcharge, der Rivale Ragnar (Thomas Schmidt) verkommt zur Karikatur des verbitterten Kettenrauchers, seine Verlobte Kaja (Marie-Lou Sellem) stolpert als verhuschte Büromaus über die Bühne, Ulrich Anschütz als Hausarzt Herdal sagt stoisch seinen Text auf. So wirken alle Szenen, in denen die wilde Hilde nicht vorkommt, beliebig. Der Spannungsbogen trägt nicht sicher, „Baumeister Solness“ stürzt ab. Miriam Hoffmeyer
Morgen, 19.30 Uhr, Gorki-Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte
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