Der Kapitän rauschte davon

Ungewohnt kommentarlos verschwand Luftlochtreter Lothar Matthäus nach Bayern Münchens 1:4 gegen Karlsruhe aus dem Stadion  ■ Aus München Maren Becker

Neulich hat Winfried Schäfer gezeigt, wie man im Fußball ein Konfliktfeld entschärfen kann. Am Donnerstag, der Karlsruher SC bereitete sich in München auf das Spiel beim FC Bayern vor, hat er sich abends mit seinem Kapitän Thomas Häßler zusammengesetzt und ein Weißbier getrunken. Zu überzeugen versucht hat der KSC- Coach („bei uns ist der Thomas zu einer festen Größe in der Nationalmannschaft geworden“) Häßler davon, nicht den Verein zu verlassen und ihn auf dem Weg zum „KSC 2000“ zu begleiten. Vier Tage nach dem vertraulichen Männertreffen läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß Häßler und Schäfer ein gutes Gespräch erlebt haben. Als nämlich die Spieler des KSC am frühen Samstagabend das beheizte Rasenrechteck im Münchner Olympiastadion verließen, hatte der Tabellenzwölfte mit 4:1 gegen Bayern gewonnen, und es war nicht nur die Höhe des Ergebnisses, die manchen überraschte. „Es war seltsam“, sagte Manfred Bender, „wie schön ruhig die uns spielen ließen.“

Gern hätten sie es beim FC Bayern so einfach wie der KSC, der weißbiertrinkend seine Probleme löst. Doch beim großen Verein an der Säbener Straße ist alles ein wenig verzwickter als beim Rest der Liga. Als ob das alte Jahr nicht genug Schwierigkeiten gebracht hätte, brachen auch die ersten Wochen des Februar unbarmherzig über den FC Bayern herein. Erst das 1:2 beim HSV, und dann mußte Manager Hoeneß auch noch in den eigenen Reihen nach einem getarnten Plauderer fahnden, der in einer Münchner Boulevardzeitung Lothar Matthäus nach seiner Auswechslung in Hamburg einen Simulanten geheißen hatte. Ein lächerlicher Grund sei das mit der verhärteten Muskulatur gewesen, verrät der Unbekannte, und überhaupt seien alle in der Mannschaft ziemlich sauer auf Matthäus, weil der den doppelten Punktverlust als „dumme Niederlage“ bezeichnet hat.

Als Mann mit Führungsansprüchen bekam der 31jährige Kapitän bislang das Privileg zugestanden, sich nach einjähriger Verletzungspause „seine Form im Spiel holen zu dürfen“ (Hoeneß). Am Samstag säbelte der Libero fünf Minuten nach Wiederanpiff wie ein Klingenwetzer in der Luft herum – ohne aber den Ball zu erwischen. Ein kapitaler Fehler, für den sich KSC-Stürmer Sean Dundee mit seinem Treffer zum 2:0 bedankte. Auswechseln ließ sich Matthäus Mitte der zweiten Halbzeit vor den Augen von Bundestrainer Berti Vogts und rauschte hernach, seinem natürlichen Mitteilungsdrang widerstehend, kommentarlos aus dem Olympiastadion.

Angriffe auf den inneren Frieden haben die Club-Oberen des FC Bayern schon zuhauf abwehren müssen. Am Samstag, nach der für Hoeneß „dramatischen Niederlage“, hat die Führungsriege ihrem Trainer Otto Rehhagel erneut die Treue geschworen und über die fehlende Einstellung der Spieler gezürnt, allen voran Präsident Franz Beckenbauer. Ungeachtet der laschen Bayern-Kicker hat es deren Vorturner Rehhagel im intriganten Spiel bereits in ein Vakuum gesogen, aus dem er sich nur noch schwer wird freistrampeln können. Schon nach zwei Spieltagen im neuen Jahr sieht sich Rehhagel wieder von allen Seiten unter Druck gesetzt.

Von den Medien sowieso. Die wichtigste Frage der schreibenden Zunft nach der Niederlage in Hamburg war: „Wie lange macht er es noch?“ Taktische Grobheit im Umgang mit den feinsinnigen Nationalspielern wird Rehhagel immer wieder vorgehalten. Gegen den KSC überraschte er mit einer neuen Aufgabenstellung für Ciriago Sforza. Der mußte sich um Thomas Häßler kümmern, doch es erwies sich als eine unglückliche Order, zwei Freigeister aufeinander anzusetzen. Bayerns Wadelbeißer Christian Nerlinger, der beim 6:2-Sieg in Karlsruhe Häßler noch in besonders engen Personenschutz genommen hatte, mußte auf der Bank sitzen, damit Andreas Herzog endlich mal wieder ran durfte. Fraglich auch, warum Rehhagel übereilt Andreas Zickler, der in der 25. Minute die größte Bayern-Chance verstolperte, nach einer halben Stunde gegen Emil Kostadinow auswechselte.

Wer es jetzt beim FC Bayern richten soll? Jürgen Klinsmann hat nach der Niederlage gesagt, daß die Aggressivität und Organisation fehlten. Ob er denn nicht auf die Mannschaft einwirke, wurde er gefragt. Das mache er schon, hat Klinsmann gesagt, „nur manchmal glaube ich, der Abstand ist einfach zu groß“. Neues Ungemach kündigt sich jetzt auch noch aus Norditalien an. Am Samstag titelte die geschwätzige Gazzetta dello Sport, der FC Bayern habe bereits mit dem Trainer des AC Parma verhandelt: „Nevio Scalas Weg führt nach München.“ Scala spricht Deutsch, seine Frau stammt aus der Nähe Münchens, und nach sieben Jahren in Parma habe er große Lust auf einen Wechsel.

Karlsruher SC: Reitmaier - Nowotny - Schuster, Reich - Metz, Fink (87. Wittwer), Häßler, Bender, Tarnat - Kirjakow (64. Bähr), Dundee (83. Knup)

Zuschauer: 35.000; Tore: 0:1 Dundee (15.), 0:2 Dundee (51.), 1:2 Scholl (55.), 1:3 Bender (71.), 1:4 Bender (77.)

Bayern München: Kahn - Matthäus (75. Frey) - Babbel, Helmer - Zickler (34. Kostadinow), Strunz, Sforza, Scholl, Herzog, Ziege - Klinsmann